Die entscheidende Frage lautet: Wer drückt den Reset-Knopf?

Wir sehen gerade dem Wirtschaftsmodell „Wachstum durch niedrige Zinsen und hohe Schulden“ beim Scheitern zu. Das sieht nach teurem „Neustart“ aus.

Amerikanische Wirtschaftsexperten antworten auf die Frage, wie die weltgrößte Wirtschaftsnation aus ihrer Schuldenfalle herausfinden wird, in jüngster Zeit erstaunlich oft mit „muddling through“. Damit ist nicht die einschlägige Managementtheorie (nicht lachen, die gibt es wirklich) gemeint, sondern echtes „Durchwursteln“. Viel Spaß dabei: Zuletzt hatten die USA eine Schuldenquote von rund 100 Prozent des BIPs. Vor allem aber: Die Staatsausgaben sind heuer nur noch zu rund 56 Prozent durch Steuereinnahmen gedeckt.

Sorry: Aber da wird ein „Sparprogramm“, das lediglich einen Rückgang der Neuverschuldung vorsieht, leider zu wenig sein. Um auf eine erträgliche Schuldenquote von 60 Prozent des BIPs (das wäre das berühmte Maastricht-Kriterium) zu kommen, müssten die USA bis 2020 Primärüberschüsse von zehn Prozent des BIPs erzielen. Das heißt, die Einnahmen müssten die Ausgaben (abzüglich Zinszahlungen) um rund 1400 Milliarden Dollar übersteigen. Jedes Jahr. Glaubt das jemand? Vor allem: Glaubt jemand, dass das mit „Durchwursteln“ gelingt?

Die USA sind also rasant auf dem Weg dorthin, wo viele Euroländer schon stehen: hinter der Schuldengrenze ohne Wiederkehr. Die sind an einem Punkt angelangt, an dem die diversen Spar- und Hilfsprogramme nur noch das Ansteigen der Schuldenquote bremsen. Um die Schulden tatsächlich in den Griff zu bekommen, müssten sie ihre Budgets auf dauerhafte strukturelle Überschüsse umstellen. Das ist nicht realistisch.

Die Situation, die wir jetzt in Europa sehen, gleicht der eines Schwerkranken, dem in regelmäßigen Abständen hoch dosierte Schmerzmittel (in Form von Rettungspaketen, Liquiditätsspritzen und Niedrigzinsen) verabreicht werden. Jedes Mal, wenn die Wirkung eintritt, atmen die um das Krankenbett versammelten Kapazitäten auf: Geht ja doch! Um dann betreten zu schauen und sich zu wundern, wenn der Effekt nach ein paar Tagen wieder nachlässt.

So heilt man Patienten nicht. Am Beginn steht normalerweise eine ordentliche Diagnose ohne Selbstbetrug. Und die lautet: Wir sehen gerade dem Wirtschaftsmodell „Wachstum durch niedrige Zinsen und hohe Staatsschulden“ beim Scheitern zu. Die Schulden werden immer höher, und das Wachstum wird immer langsamer. Die Erkenntnis, dass Wirtschaftsankurbelung auf Pump ab einem gewissen Schuldenniveau nicht mehr funktioniert, ist freilich (zumindest offiziell) noch nicht politischer Mainstream. Ebenso wenig wie die Erkenntnis, dass sich Schulden ab einem bestimmten Niveau „konventionell“ nicht mehr zurückführen lassen.

Dass dieses Niveau in Europa und den USA bereits erreicht ist, sieht man dann, wenn man die Schulden nicht in Relation zum BIP, sondern zu den Staatseinnahmen setzt. Nur die stehen ja zur Schuldentilgung zur Verfügung, außer man will die Staatsbürger enteignen. Da steht dann selbst das im internationalen Vergleich mit Musterknabenstatus versehene Österreich mit Schuldenquoten von annähernd 180 Prozent (wenn man freundlicherweise die Sozialversicherungen dazurechnet) bis 400 Prozent (gemessen an den Bundessteuereinnahmen) ziemlich nackt da.


Ohne Neustart wird es also weder in den USA noch in Europa gehen. Die Frage ist, wer den Knopf zum Schuldenreset drückt. Und wie dieses aussieht. Da stehen ja mehrere Möglichkeiten offen: einfache Schuldenstreichung (unwahrscheinlich, weil politisches Konfliktpotenzial), Währungsreform (ebenfalls unwahrscheinlich) und „Weginflationieren“ der Staatsschuld (sehr wahrscheinlich), um nur die wichtigsten zu nennen.

Letzteres dürfte für die Regierenden auch am charmantesten sein. Wenn es nicht gerade in Hyperinflation ausartet, kriegen die solcherart zur Kasse gebetenen ihre Teilenteignung meistens nämlich gar nicht richtig mit: Es gibt in solchen Fällen mit zeitlicher Verzögerung ja auch optisch respektable Lohnerhöhungen und Sparzinsen. Auch wenn das Notenbanker strikt bestreiten: EZB und Fed legen mit ihren Liquiditätsschwemmen gerade den Grundstein für diese Variante. Vielleicht nicht absichtlich, sondern nur aus bloßer Hilflosigkeit. Was an der Sache freilich nichts ändert.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2011)

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