Der Experte für den Iran, Walter Posch, sieht im Interview mit der "Presse" offene Fragen bei Saudi-Komplott. Ein iranischer Anschlag auf das Territorium der Vereinigten Staaten wäre ein Paradigmenwechsel.
Die Presse: Wie interpretieren Sie den von Justizminister Holder bekannt gemachten Anschlagsversuch auf den saudischen Botschafter in den USA? Drahtzieher soll eine iranische Spezialeinheit sein.
Walter Posch: Laut Anklageschrift soll jemand mit Kontakten mit der Qods-Einheit in Amerika handeln. Interessant: Die USA sind eigentlich nicht das Operationsgebiet dieser Einheit: Die Qods-Einheit ist vor allem im Irak oder im Libanon aktiv – oder in anderen arabischsprachigen Ländern. Die Qods-Brigaden verfügen über arabischsprachige Agenten und Kämpfer.
Warum soll der saudische Botschafter in den USA getötet werden?
Gute Frage. Warum wird ein sehr prononcierter, prowestlicher saudischer Diplomat in den USA zur Zielperson erklärt? Warum gerade diese Person, wo es doch andere saudische Diplomaten gibt, die viel härter mit dem Iran ins Gericht gehen? Eine weitere Frage ist ebenfalls offen: Warum verübt man so ein Attentat nicht in der Region selbst? Dort kann der Iran mit Verbündeten rechnen und die Dinge viel besser verschleiern.
Könnten die Verschwörer unkontrollierbar gewordene Elemente dieser Qods-Einheiten sein?
Das ist auszuschließen. Wenn das Mitglieder der Qods-Einheit waren, dann hat der Oberste Führer Ali Khamenei davon gewusst. Interessant ist auch die Tatsache, dass das Attentat auf den saudischen Botschafter Adel al-Jubeir auf US-Territorium geplant war. Das würde einen dramatischen Wechsel der iranischen US-Politik bedeuten, das würde heißen, dass der Iran auf direkte Konfrontation geht. Wer eine Operation auf US-Territorium durchführt, greift Amerika direkt an, auch wenn die Zielperson ein saudischer Staatsbürger ist. Die Qods wird in Expertenkreisen immer als die professionelle, gefährlichste Truppe beschrieben. Warum benützt die nun Kriminelle, um ihre Ziele zu erreichen? Das sind die offenen Fragen.
Der Iran und Saudiarabien haben seit Langem ein sehr spannungsgeladenes Verhältnis.
Stimmt. Aber als es etwa um den saudischen Einmarsch in Bahrain ging, wo die schiitische Mehrheit gegen das Herrscherhaus auf die Straße gegangen ist, da hat Teheran sich eher zurückgehalten. Der verbale Schlagabtausch war damals sehr heftig, aber beide Seiten waren bestrebt, die Lage nicht allzu sehr eskalieren zu lassen. Wenn man nun plant, einen Botschafter eines Landes, mit dem man diplomatische Beziehungen unterhält, umzubringen, dann wäre das schon eine unglaubliche Provokation und zeugte von erstaunlicher diplomatischer und politischer Unprofessionalität.
Inwiefern verändern sich nun die Beziehungen zwischen den USA und dem Iran?
Den USA ist der Geduldsfaden längst gerissen. Am strategischen Gegensatz zwischen beiden Ländern wird sich auch jetzt nicht viel ändern. Und Saudiarabien: Riad hat Angst vor iranischem Einfluss auf die Schiiten in Saudiarabien, Teheran hat Angst vor dem Einfluss Saudiarabiens auf die Sunniten im Iran. Beide stehen vor einem strategischen Patt.
Wenn es also eine Verschärfung der Gangart des Iran gibt, sind dann wieder Anschläge wie jener 1992 auf iranische Exilpolitiker im Restaurant Mykonos in Berlin denkbar?
Wenn das nun tatsächlich ein Paradigmenwechsel ist, dann kann man sagen, dass die Dienste in den USA und in Europa darauf wohl vorbereitet sind. Denn: Es gibt eine Zeit vor al-Qaida und eine danach. Die Dienste und die Sicherheitsbehörden sind heute viel besser informiert und besser vorbereitet, die Sicherheitsbehörden trauen sich mehr zu.
Zur Person
Walter Posch ist Experte für die Länder Iran, Irak und Türkei an der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ in Berlin. Zuvor arbeitete der gebürtige Tiroler an der Landesverteidigungsakademie in Wien und als Research Fellow am European Union Institute for Security Studies in Paris. [privat]
("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2011)