Mit der Freilassung von 1027 Palästinensern lädt Israel die Hamas zu Entführungen ein.
Gilad Shalit ist nach fünf Jahren Geiselhaft frei. Das ist erfreulich für ihn, seine Familie und für viele Israelis, die mit dem mittlerweile 25-Jährigen mitgefiebert haben.
Die Bedingungen seiner Freilassung sind jedoch nicht nachvollziehbar. Israel lässt im Gegenzug für einen einzigen Soldaten allen Ernstes 1027 palästinensische Gefangene laufen. Darunter auch 280 Verbrecher, die zu lebenslanger Haft verurteilt worden sind. Die Rückfallquote wird auf 60 Prozent geschätzt. Hinterbliebene von Terroropfern haben berechnet, dass enthaftete Palästinenser seit dem Jahr 2000 etwa 180 Israelis getötet haben.Auch die 1027 palästinensischen Ex-Sträflinge werden aller Wahrscheinlichkeit nach nicht Liebe, Frieden und gute Laune verbreiten.
Auf Seiten Israels entspringt der Gefangenentausch dem religiösen Impetus, jüdisches Leben um jeden Preis zu retten. In ihrer absurden Dimension liefert die Aktion jedoch ein Sinnbild dafür, wie verrückt dieser Dauerkonflikt ist. Und doch stellt sich die Frage, warum der Deal gerade jetzt zustandekommt und wem er nützt. Große Sieger sind die Extremisten der Hamas, die sich nun im Gazastreifen als Befreier und harte Verhandler feiern lassen. Geschwächt ist ihr Konkurrent PLO-Chef Abbas, der nach seinem UNO-Antrag auf staatliche Anerkennung Auftrieb erhalten hatte.
Für Israels Premier Netanjahu bringt der Gefangenentausch in Israel Popularitätspunkte. Die Schwächung von Abbas dürfte ihn nicht stören. Eine Annäherung an die Hamas ist indes auszuschließen. Der nächste Terrorakt wird nicht lange auf sich warten lassen. Ebenso wenig wie die nächste Entführung. Die Hamas weiß nun, welchen Preis sie dafür erzielen kann.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2011)