Bergman: „Hamas braucht zunehmend Ägypten“

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Der israelische Journalist und Nahost-Experte Ronen Bergman über das religiöse Gebot der Gefangenenbefreiung und Benjamin Netanjahus politisches Kalkül.

Die Presse: Welches Signal wird nun durch die Freilassung des israelischen Soldaten Gilad Shalit durch die Hamas gesendet?

Ronen Bergman: Vielleicht nehme ich jetzt die Spannung raus, aber man sollte die Signalwirkung dieser Freilassung nicht überschätzen. Natürlich – für Shalit, seine Familie und die israelische Öffentlichkeit ist seine Freilassung von größter Bedeutung. Aber: Die Hamas hat gute Gründe – vor allem nach den Geschehnissen in Syrien – sich nach anderen Unterstützern umzusehen. Daher braucht die Hamas zunehmend Ägypten, da sie sich der Unterstützung durch Syrien oder den Iran nicht sicher sein kann. Die verbesserten Beziehungen zwischen Hamas und Ägypten sind wohl auch der Grund für den jetzt erfolgten Gefangenenaustausch.

Ein israelischer Soldat für 1027 Hamas-Kämpfer...

...das kann man auch aus der jüdischen Tradition verstehen. Die israelische Öffentlichkeit schreibt pidyon shevuyim – der Gefangenenbefreiung – eine wichtige Rolle zu, der jüdische Philosoph Moses Maimonides spricht von der wichtigsten Mizwa – dem wichtigsten Gebot – von allen. Der Hintergrund: Immer wieder wurden in aller Welt in früherer Zeit Juden gekidnappt. Damals hat man dann in den jüdischen Gemeinden Geld gesammelt, um die gefangenen Menschen zu befreien. Der Konsens lautet auch heute: Der Staat muss alles tun, um die Soldaten, die der Staat ins Gefecht schickt, nach Hause zu bringen.

Netanjahu hat die Mehrheit hinter sich?

Nach einer Umfrage meiner Zeitung, „Yedioth Ahronoth“, befürworten 72 Prozent den Deal. Das würde sich freilich ändern, wenn einige der jetzt Befreiten wieder aktiv würden. Die israelische Gesellschaft genießt auch dieses Moment des Konsens, der Einigkeit, des Zusammenseins. Das ist einer dieser Momente, wenn eine ganze Nation den Atem anhält.

Mit dieser Aktion hat Netanjahu die Hamas gestärkt. Kann er das wollen?

Es kann durchaus sein, dass er es tief in seinem Innersten gar nicht bereut, dass die palästinensische Autonomiebehörde geschwächt ist. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ihn das interessieren würde. Er hat nach innenpolitischen Gesichtspunkten entschieden, er hatte bei dieser Entscheidung nicht die Nahost-Faktoren im Blick. Netanjahu hat viele Probleme in Israel am Hals: soziale Probleme, die Gesundheitspolitik. Da kann er diesen Erfolg gut gebrauchen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2011)

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