Seltene Krankheiten: »Auf diesem Gebiet kann die EU Leben retten«

(c) Erwin Wodicka
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Koordination und Kooperation, Gesetze und Geld: Vor allem die EU-Kommission macht erfolgreich Politik rund um seltene Krankheiten. Wo sie direkten Einfluss nehmen kann, tut sie das.

„Wenn es ein Gebiet gibt, auf dem die EU Leben retten kann, dann ist es dieses.“ PR-Profis arbeiten nicht mit Understatements, wenn es um seltene Erkrankungen geht. Allerdings hat Yann Le Cam, Generaldirektor von Eurordis, der europäischen Vertretung von Patienten mit seltenen Erkrankungen, recht. Vor allem die EU-Kommission ist wild entschlossen zu zeigen, dass Gemeinschaft auch auf dem Gesundheitssektor ein Vorteil sein kann.

Vor zwei Jahren beschloss die EU-Kommission, sich für das Thema „Seltene Erkrankungen“ stark zu machen. „Wir haben 300 Millionen Euro dafür bereitgestellt“, erklärte Despina Spinou, Beraterin der Generaldirektion für Gesundheit und Konsumentenschutz in der Kommission, vor Kurzem bei einer EU-Konferenz für seltene Erkrankungen in Luxemburg. Dieses Geld wird sowohl in Forschungsprojekte als auch in die Errichtung von Datenbanken investiert. Die EU unterstützt unter anderem Orphanet, die wichtigste allgemeine Plattform für seltene Erkrankungen. Dort finden Patienten und Mediziner Informationen über 6000 seltene Krankheiten, Tests, Medikamente und Selbsthilfegruppen.

Wo die EU-Kommission direkten Einfluss nehmen kann, tut sie das. So ermuntert sie Pharmafirmen, mehr Orphan-Medikamente zu produzieren. Das sind hoch spezialisierte Mittel, die nur für einen winzigen Markt produziert werden und daher als unwirtschaftlich gelten. Manche Medikamente haben EU-weit nur 50 Abnehmer.

Die EU-Kommission hat allen Firmen, die ein Orphan-Medikament entwickeln, Marktexklusivität für zehn Jahre zugesagt. Bisher gab es 1342 Bewerbungen und 61 Zulassungen. Dazu kommt, dass es sich bei vielen seltenen Erkrankungen um schwere Stoffwechselstörungen handelt. Im Zuge dieser Forschungen hoffen Pharmafirmen auf neue Medikamente für Massenphänomene wie Diabetes II oder Bluthochdruck. „Wenn man Ressourcen bündelt, wenn es Patientenregister gibt, schnellere Diagnosen und eine bessere Rechtslage, steigt auch die Bereitschaft, an Versuchen teilzunehmen. Das wiederum ermuntert die Pharmaindustrie, sich auf dem Gebiet der Orphan-Medikamente stärker zu engagieren“, meint Kate Bushby, Spezialistin für neuromuskuläre Erkrankungen.

Gleichzeitig haben die EU-Mitgliedsländer einander empfohlen, bis 2013 nationale Aktionspläne zum Thema „Seltene Erkrankungen“ zu verfassen. Davon wurden zehn bereits abgesegnet, elf sind in Ausarbeitung und sechs müssen noch in Angriff genommen werden. Eines der Ziele ist es, in der EU mehr Schwerpunktzentren für seltene Krankheiten einzurichten.

Zentrum an der Med-Uni Wien?

Davon gibt es in Deutschland schon einige, auch Österreich würde sich dafür interessieren. „Ziel wäre ein Zentrum an der Med-Uni Wien“, erklärt Till Voigtländer vom Klinischen Institut für Neurologie und Experte für seltene Erkrankungen. In Österreich gibt es seit Jänner eine nationale Koordinationsstelle bei der Gesundheit Österreich GmbH. Diese dient als Anlaufstelle für Patienten, Angehörige und Mediziner.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2011)

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