Sie müssen sich anspucken und schlagen lassen: Weibliche Blaukappler brauchen in Wien eine dicke Haut.
In ihrem Job zählt sie zu den unbeliebtesten Frauen Wiens. Jedes Mal, wenn Marion F. nach einem Zettel greift, weiß sie, dass sich irgendjemand ärgern wird. „Aber es ist die Uniform, die die Leute oft beschimpfen, das muss man wegschieben“, sagt sie.
Marion F. ist eine Blaukapplerin in Wien. Sie zählt damit zu den rund 220 Mitarbeitern der MA 67, die Hälfte davon weiblich, die für das Einhalten der Kurzparkzonen in Wien zuständig sind. Fünf Tage die Woche, jeweils von acht bis 16 Uhr, steht die 35-jährige Alleinerzieherin deswegen auf der Straße. „Zuerst laufe ich die Grenzen meines Rayons ab, erst danach gehe ich in die Seitenstraßen“, erzählt sie.
Diesmal geht sie zügig an parkenden Autos im siebten Bezirk vorbei. Routiniert sucht sie die Windschutzscheiben nach Parkpickerln oder den färbigen Parkscheinen ab. Da, der Mercedes hat keines. Sofort bleibt sie stehen und schaut in ihrem Taschen-PC nach, ob der Lenker ein Handyticket gelöst hat. Nein hat er nicht. Fünf bis sechs Klicks am Bildschirm, schon hängt eine Strafe von 21 Euro an der Windschutzscheibe. So geht das den ganzen Tag.
700 bis 1000 Stellplätze muss sie täglich kontrollieren. Wie viele Strafen sie an einem Tag ausstellt, könne sie aber nicht sagen – 20 bis 100 vielleicht. „Es gibt Straßen, da ist viel los, in anderen nichts.“ An einen Tag, an dem sie nicht gestraft hätte, kann sie sich nicht erinnern. 15 bis 20 Kilometer, schätzt sie, legt sie dabei an einem Tag zurück. Am liebsten allein, wobei manche Kollegen auch im Zweierteam gehen. „Das sind oft die, die sich allein nicht mehr trauen“, sagt Alexander Bachmaier von der MA 67. Denn immer wieder seien Parksheriffs, egal ob Mann oder Frau, Beschimpfungen, Spuckattacken und Übergriffen ausgesetzt. „Oft sind es nur Passanten, die sich wegen einer alten Strafe ärgern“, sagt Marion F.
Schläge und Tritte. Auch Marion F. bekam das schon zu spüren. Vor fast zehn Jahren wurde sie von einem Lenker mit einem Kinnhaken niedergeschlagen. Noch am Boden liegend rief sie die Polizei. „Der hat mich einfach nicht mehr aufstehen lassen.“ Sie kam relativ glimpflich mit mehreren Prellungen davon. Angst hätte sie danach trotzdem nicht gehabt. „Wer auf die Straße geht und Angst hat, der hat schon verloren“, sagt sie. Sie hätte gelernt, alles wegzuschieben: „Es ist die Uniform, die die Leute beschimpfen“, wiederholt die junge Frau mantraartig. Als dürfe sie es selbst nicht vergessen. Grundsätzlich sei sie nämlich zufrieden mit ihrem Job. Auch wenn sie ihn etwas langweilig findet. Aber ist das nicht irgendwann überall so?
Größere Sorgen bereitet ihr im Moment eher die Zusammenlegung der Blau- und Weißkappler im September: „Früher war ich nur für die vordere Hälfte des Autos zuständig. Jetzt ist es bald das ganze Auto. Das ist schon viel.“ Auch die Stimmung unter Kollegen sei getrübt. Aufhören komme für sie trotzdem nicht in Frage: „Ich bin alleinerziehende Mutter und habe hier gewisse Vorteile“, sagt sie. Auch wenn das heißt, dass sie jeden Winter stundenlang in der Kälte verbringen muss. „Dabei bin ich so erfroren.“ Nur bei Regen oder Schnee muss sie nicht kontrollieren. Das Wasser würde den Taschencomputer zum Ausstellen der Strafen stören.
Wie auf Bestellung fallen kleine Schneeflocken. Marion F. steht vor einem Auto und sucht nach einem Parkschein. Schon kommt die Lenkerin herbeigeeilt. „Entschuldigung, ich hab's vergessen“, ruft sie. Marion F. lässt sich erweichen. Ausnahmsweise. Wenn jemand aggressiv ist, kenne sie kein Pardon. „Der Ton macht die Musik“, sagt sie. Und ob ihr der gefällt, bestimme nur sie. Im Moment scheint sie gut aufgelegt zu sein. Zweimal kommt sie an alten Parkscheinen vorbei, die seit 1.März ungültig sind, und beide Male legt sie nur einen Informationszettel auf die Windschutzscheibe. „Ab Montag (12. März, Anm.) gibt es aber keine Ausnahme mehr.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.03.2012)