Ukraine: Timoschenko-Prozess ist "absurd"

(c) AP (Virginia Mayo)
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Das neuerliche Gerichtsverfahren gegen die ukrainische Ex-Premierministerin und Revolutionsikone Julia Timoschenko wird zur großen Belastungsprobe im Verhältnis der Ukraine zur Europäischen Union.

Moskau/Brüssel. Julia Timoschenko ist am Donnerstag gar nicht erst erschienen. Wenn sie aufstehen und gehen könnte, wäre die inhaftierte Ex-Premierministerin der Ukraine zur Teilnahme am Beginn des zweiten Gerichtsverfahrens gegen sie vielleicht gezwungen worden. Immerhin habe man im Gericht schon eine hölzerne Liege bereitgestellt, berichtete ihr Anwalt in der Verhandlungspause. Nicht ausgeschlossen also, dass die 51-jährige Revolutionsikone, die als Aushängeschild einer EU-Annäherung ihres Landes galt, schon bald ähnlich vor dem Richter hingestreckt liegen wird, wie vor Kurzem der greise ägyptische Alt-Präsident Hosni Mubarak.

Timoschenko wird in diesem Prozess vorgeworfen, in den 1990er-Jahren als damalige Chefin des Energiekonzerns „Vereinigte Energiesysteme“ Gelder veruntreut und Steuern in dreistelliger Millionenhöhe hinterzogen zu haben. Es drohen ihr bis zu zwölf Jahren Haft. Die Vorwürfe sind an und für sich nicht neu, wurden aber im Jahr 2005 vom Obersten Gerichtshof fallen gelassen.

Damals waren wohlgemerkt Timoschenko und ihre Mitstreiter der Orangen Revolution an der Macht. Heute, konkret seit 2010, ist mit Präsident Viktor Janukowitsch ihr Langzeitrivale aus der russischsprachigen Ostukraine am Ruder. In Windeseile hat er ein autoritäres Regime wiederhergestellt. Und weil neben Timoschenko auch viele ihrer Mitstreiter hinter Gittern gelandet sind, hegen Beobachter im In- und Ausland den Verdacht der politischen Justiz.

„Politisch motivierte Anschuldigung“

„Das, was ich gesehen habe, ist einfach absurd“, sagte der französische Menschenrechtsbotschafter François Zimeray, der den Prozess am Donnerstag verfolgte: „Die Anschuldigungen sind zweifellos politisch motiviert“, ist er überzeugt. Und er ist der festen Ansicht, dass der Verlauf des Prozesses großen Einfluss auf die Beziehungen zwischen der Ukraine und der EU haben werde.

Das hat freilich schon der erste Gerichtsprozess, in dem Timoschenko im Vorjahr zu sieben Jahren Haft verurteilt worden war, ergeben, weil sie bei der Aushandlung des bestehenden Gasvertrages mit Russland 2009 ukrainische Interessen angeblich verraten habe. Aus Protest gegen die Inhaftierung und den immer autoritäreren Kurs der Regierung hat die EU zuletzt das geplante Assoziierungsabkommen und umfassende Handelserleichterungen für den größten östlichen Nachbarn auf Eis gelegt.

Die EU wandert auf einem schmalen Grat, will sie doch einerseits Janukowitsch mäßigen, andererseits jedoch nicht zu sehr brüskieren und nicht in die Arme der einflussheischenden Führung in Moskau treiben. Von medial zuletzt kolportierten Planungen für EU-Sanktionen gegen die ukrainische Regierung könne keine Rede sein, stellte daher in Brüssel ein deutscher Diplomat gegenüber der „Presse“ klar.

Deutschland will Timoschenko behandeln

Hingegen ist Berlin höchst besorgt über Timoschenkos gesundheitlichen Zustand und die offensichtlich unzureichende medizinische Behandlung. Ärzte der Berliner Charité haben vorige Woche Timoschenko untersuchen dürfen, ihr einen Wirbelbruch attestiert und für verhandlungsunfähig erklärt. „Unser Angebot, Frau Timoschenko in Deutschland zu betreuen, steht weiterhin“, sagte der Diplomat.

Nichts da, hat zuvor der ukrainische Justizminister Alexandr Lawrinowitsch in einem Zeitungsinterview erklärt: Strafgefangene dürften die Staatsgrenzen nur bei einer Amnestie oder einer anderen Gerichtsentscheidung überschreiten, eine Möglichkeit zur Änderung der Gesetze sehe er nicht. „Aber theoretisch möglich ist alles, sogar ein Flug zum Saturn.“

Unterdessen bündeln die Oppositionsparteien immer mehr ihre Kräfte, um bei den Parlamentswahlen im Herbst die Übermacht von Janukowitsch zu brechen. Zu ihnen gehört der seit 2010 inhaftierte Ex-Innenminister Juri Luzenka, dessen Fall am Mittwoch der Europäische Menschenrechtsgerichtshof zu prüfen begann.

Vor diesem Hintergrund besucht der neue ukrainische Vizepremier für europäische Integrationsfragen, Valeriy Choroschkovskiy, am kommenden Mittwoch Brüssel und wird dort mit drei EU-Kommissaren zusammentreffen. Choroschkovskiy war bis vor Kurzem Geheimdienstchef und gilt als einer der reichsten Politiker des Landes.

Auf einen Blick

Julia Timoschenko wird von der ukrainischen Justiz vorgeworfen, in den 1990er-Jahren als damalige Chefin des Energiekonzerns „Vereinigte Energiesysteme“ Gelder veruntreut und Steuern in dreistelliger Millionenhöhe hinterzogen zu haben. Es drohen ihr bis zu zwölf Jahren Haft. In- und ausländische Beobachter kritisieren den neuerlichen Prozess als politische Abrechnung mit der früheren Regierungschefin. Timoschenko blieb dem Auftakt der Verhandlung wegen eines Wirbelbruchs fern. [AP]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2012)

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