Der Semmering und seine „Pioniere“

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Beim Spatenstich des Tunnels durch den Semmering war man um Feststimmung bemüht. Doch so ganz wollen die Zweifel an dem Projekt nicht verstummen.

Gloggnitz. Erwin Pröll betritt standesgemäß als Letzter die Bühne. Als er wenig später das Wort ergreift, bricht im Festzelt Jubel aus. 600 Menschen applaudieren lautstark. „Haben Sie etwa einen Fanklub mitgebracht?“, fragt die lachende Moderatorin den Landeshauptmann. „Aber nicht doch“, erklärt Pröll. „Die Menschen hier in Niederösterreich wissen es eben zu schätzen, wenn man ein sinnvolles Projekt realisiert.“

Das Projekt, um das es geht, ist der Semmering-Tunnel. 30Jahre lang war heftig gestritten und der Baubeginn mehrfach verschoben worden. Auch der wohl mächtigste ÖVP-Politiker mit Amtssitz in St.Pölten war lange Zeit vehement gegen den Bau gewesen. Davon soll nun keine Rede mehr sein. Beim Spatenstich in Gloggnitz ist man um Feierstimmung bemüht. Viele Gäste sind in Tracht erschienen, schon am Vormittag wird Bier und Wein serviert.

Es handle sich schließlich um einen „historischen Tag“, wie Pröll und sein steirischer Amtskollege Franz Voves (SPÖ) mehrmals betonen. Das Abspielen der Bundeshymne soll dann auch die Bedeutung des Tunnels für die Republik untermauern. Die Landeshauptleute und Verkehrsministerin Doris Bures (SPÖ) singen euphorisch mit.

Zwischen Euphorie und Sorge

Tatsächlich könnte man auf den ersten Blick glauben, alles sei eitel Wonne an diesem sonnigen Frühlingstag in Gloggnitz. Und doch wollen nicht alle mit den anwesenden Politikern mitfeiern. „Kein ÖBB-Baustellenverkehr durch unser Wohngebiet“, heißt es auf einem Plakat, das Aktivisten neben der Straße zwischen Bahnhof und Festgelände angebracht haben.

Und auch einige der anwesenden Gäste zeigen sich besorgt. „Ich bin skeptisch. Ob dieser Tunnel wirklich so eine gute Idee ist, wird sich erst zeigen“, meint der 33-jährige Feuerwehrmann Manfred Höller. Er wundert sich, warum es in der Bevölkerung nicht mehr Widerstand gegen das Milliardenprojekt gibt. Es bestehe schließlich die Gefahr, dass das schöne, 6000 Einwohner zählende Gloggnitz bis 2024 zur Baustelle verkomme.

Zwölf Jahre wird es nämlich dauern, bis erstmals Züge durch den zweiröhrigen, 27Kilometer langen Semmering-Tunnel von Gloggnitz in Niederösterreich nach Mürzzuschlag in der Steiermark fahren werden. 3,1Mrd. Euro soll das die Steuerzahler kosten. Mindestens. So sind im Rahmenplan des Verkehrsministeriums nochmals 190 Mio. Euro für Pilotstollen und Planungen vorgesehen. Hinzu kommen viele Unsicherheiten, etwa die Preisentwicklung oder etwaige Komplikationen während der Bauphase. „Da fließt schon viel Geld rein. Das müssen wir ja alles auch irgendwie zurückzahlen“, sagt Feuerwehrmann Höller.

„Das wird sich nie rentieren“

Pröll, Voves und Bures bemühen sich indes, die Bedeutung der Bahn für das Land hervorzuheben. 40 Minuten werde die Zeitersparnis zwischen Wien und Graz betragen, was zu einem deutlichen Passagierzuwachs führen werde. Darin stimmen sie mit vielen Verkehrsexperten überein. Selbst Skeptiker gestehen dem Semmering-Tunnel im Gegensatz zu den Tunnels durch Koralpe und Brenner „einen gewissen Sinn“ zu.

Und trotzdem steht bereits jetzt fest: Aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht wird der Semmering-Tunnel ein Verlustgeschäft. „Das wird sich nie rentieren“, sagt auch ÖBB-Chef Christian Kern im Gespräch mit der „Presse“. Er geht von einer Kostendeckung im Betrieb von „mehr als zwei Drittel“ aus. Trotzdem sei der Tunnel notwendig, weil „wir so sinnvoll und langfristig in ein ordentliches Verkehrskonzept investieren“. Außerdem sei es von Bedeutung, „nicht nur zu sparen, sondern auch für künftige Generationen zu investieren“.

Der Steve Jobs vom Semmering

Für die Skeptiker hat Kern auch gleich ein Beispiel parat: Selbst Carl Ritter von Ghega, der Erbauer der Bahn über den Semmering, sei einst belächelt worden, erklärt der Bahnchef. „Heute wissen wir: Ritter von Ghega war quasi der Steve Jobs des 19.Jahrhunderts.“ Will Kern etwa die anwesenden Politiker mit dem legendären Apple-Gründer und den Semmering-Tunnel mit dem iPhone vergleichen? „So möchte ich das nicht verstanden wissen.“

Doris Bures würde der Vergleich möglicherweise nicht weiter stören. Sie hält es für „durchaus möglich, dass die künftigen Generationen von uns als echte Pioniere sprechen werden.“ Pröll und Voves hören aufmerksam zu. Die Worte der Politkollegin zaubern ein Schmunzeln auf ihre Lippen. Schließlich kommt aber doch ein wenig Bescheidenheit auf. „Ob alles richtig ist, was wir hier machen, werden unsere Kinder und Enkelkinder zu beurteilen haben“, sagt Bures. Pröll und Voves haben zu lachen aufgehört. Sie nicken andächtig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2012)

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