Bahn: Die teure Reise durch den Semmering

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Bahn teure Reise durch(c) APA (Barbara Gindl)
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Der Spatenstich des Tunnels zwischen Gloggnitz und Mürzzuschlag sorgt für Debatten. Während die Politik den Baubeginn feiert, laufen Kritiker gegen das Milliardenprojekt Sturm.

Wien. Es wird ein schönes Gruppenfoto. Wann sieht man schon den wohl mächtigsten ÖVP-Politiker, Erwin Pröll, mit den SPÖ-Mitgliedern Franz Voves, Doris Bures und Christian Kern auf einem Bild? Im Rahmen einer „bahnbrechenden Zeremonie“ sollen die Landeshauptleute Niederösterreichs und der Steiermark, die Verkehrsministerin und der ÖBB-Chef am Mittwoch in Gloggnitz den Spatenstich für den Semmeringtunnel begehen. „Die Presse“ beantwortet die wichtigsten Fragen zu dem umstrittenen Projekt.

1 Wie lange soll der Bau dauern, und wie sehen die Details aus?

Geht es nach dem Rahmenplan des Verkehrsministeriums, wird der 27,3 Kilometer lange, zweiröhrige Tunnel bis 2024 fertig sein. Er verläuft zwischen Gloggnitz in Niederösterreich und Mürzzuschlag in der Steiermark. Züge sollen mit 230km/h durch den Tunnel fahren. Der Zeitgewinn im Vergleich zu der aktuellen Strecke über den Semmering wird in etwa eine halbe Stunde betragen.

2 Wie teuer kommt der Semmeringtunnel die Steuerzahler?

Klar ist, dass das Projekt deutlich mehr kosten wird als die immer wieder genannten 3,1 Mrd. Euro. So finden sich beispielsweise im Rahmenplan 2012–2017 weitere 189Mio. Euro, die unter dem Punkt „Pistenstollen und Planungen“ ausgelagert wurden.

Außerdem hat die Politik Finanzierungskosten (das hoch verschuldete Österreich muss sich das Geld auf dem Kapitalmarkt beschaffen) ebenso wenig berücksichtigt wie mögliche Preissteigerungen (alle Preise sind per Anfang 2011 kalkuliert). Hinzu kommt das Risiko eines solch komplexen Projekts. Unerwartete Kostenexplosionen während des Baus sind nicht ausgeschlossen.

3 Wird die EU einen Teil der Kosten übernehmen?

Möglicherweise. Die Europäische Union will die Strecke dem prioritären transeuropäischen Verkehrsnetz zurechnen und könnte der Republik einen Teil der Baukosten abnehmen. Entsprechende Verhandlungen laufen derzeit. Allerdings: Verkehrsexperten wie WU-Professor Sebastian Kummer sehen darin „nichts als einen Marketing-Gag“.

So hat das EU-Parlament noch gar nicht über eine Aufnahme des „baltisch-adriatischen Verkehrskorridors“ in das transeuropäische Netz abgestimmt. Tatsächlich ist völlig unklar, wie die transeuropäische Route bis zur italienischen Adria aussehen soll. Ein Beispiel: Züge müssten möglicherweise durch Kärntner Ferienorte rasen, wogegen sich die Bevölkerung wohl wehren wird. Ein Rückzieher der EU bei der Übernahme von Kosten für den Semmeringtunnel ist deshalb nicht ausgeschlossen.

4 Wie viel Geld will die Politik für Infrastruktur in die Hand nehmen?

Der Tunnel durch den Semmering ist eines von drei großen Tunnelprojekten, die derzeit heftig diskutiert werden. Der Brennerbasistunnel soll 2026 in Betrieb genommen werden, jener durch die steirisch-kärntnerische Koralpe 2022. Vergangene Woche segnete das Parlament künftige „Annuitäten in Höhe von 26,6 Mrd. Euro infolge von Bahninvestitionen während der Jahre 2013 bis 2017 ab“.

Das ist jedoch nur ein Teil des Rucksacks, der künftigen Generationen umgehängt werden soll. Der Rechnungshof schätzt, dass Großprojekte rund um das System Bahn die Steuerzahler in den kommenden 50 Jahren zumindest 53,5 Mrd. Euro kosten werden. Der Finanzberater Nomura spricht gar von 200 Mrd. Euro. Die enormen Unterschiede ergeben sich aus den vielen Unsicherheiten rund um die gewaltigen Tunnelprojekte.

5 Wie sinnvoll ist der Tunnel im Vergleich zu anderen Projekten?

Im Vergleich zum Brennerbasistunnel und zum Koralmtunnel gilt der Semmeringtunnel als der sinnvollste. Momentan ist die Strecke Wien–Graz mit dem Auto deutlich schneller als mit der Bahn zu bewältigen. Das soll sich durch den zumindest 30-minütigen Zeitgewinn zwischen den beiden größten Städten Österreichs ändern. Unklar ist allerdings, ob das Angebot in einem Umfang genützt werden wird, der die milliardenschweren Investitionen rechtfertigt. Die ÖBB befördern mittlerweile mehr Kunden auf der Straße als per Bahn. Wenn es nicht gelingt, diesen Trend umzukehren, wird sich auch der Semmeringtunnel niemals rechnen.

6 Welche Probleme drohen dem Semmeringtunnel noch?

Umweltschützer laufen seit Jahren gegen das Projekt Sturm. Die Organisation „Alliance for Nature“ bemüht den Verwaltungsgerichtshof, um positive Naturschutzbescheide anzufechten. Die Argumente: Der Tunnel gefährde die Wasserversorgung, und die Semmeringbahn als Weltkulturerbe sei bedroht. Die Erfolgsaussichten der Organisation sind allerdings gering. Eine echte Gefahr droht dem Tunnel wohl nur, wenn die Politik ihren Kurs bei Infrastrukturprojekten ändert. Darauf deutet momentan nichts hin. Doch bis 2024 sind noch einige Wahlen zu schlagen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2012)

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