Direkte Demokratie ist kein Allheilmittel

Sind wir Wähler die besseren Gesetzgeber? Kommt die Demokratie-Reform, werden wir es herausfinden. Davor ist aber noch eine Runde Misstrauen angebracht.

Soll die Bevölkerung selbst Gesetze machen können? Alle Parteien sagen inzwischen: Ja, klar. Die SPÖ hat sich zwar länger gegen die Idee gesträubt, dass Volksbegehren ab einer bestimmten Unterschriftenanzahl zu verbindlichen Abstimmungen führen, doch ihr Einschwenken war absehbar. Dem Wähler zu sagen, dass man ihm mehr Mitbestimmung nicht zutraut, wagt auf Dauer kein Politiker. Schon gar nicht Werner Faymann.

Und übrigens auch kaum ein Journalist. Schließlich schreibt man als solcher öfter, wie elend der Einfluss von Parteitaktik auf Gesetze ist. Wie direkt erfrischend wäre es etwa, könnten Wähler selbst Transparenzregeln bestimmen, oder nicht? Außerdem ist die direkte Demokratie in jetziger Form ein Trauerspiel: Volksbegehren ändern so wenig, dass einem der vorauseilende Frust schon die Lust nimmt, hinzugehen.

Bevor man nun jedoch jubelnd in den Chor derer einstimmt, die „mehr Macht fürs Volk“ als Allheilmittel gegen Politikfrust fordern, sollte man ein paar simple Fragen stellten. Etwa: Wer? Wer ist die Zivilbevölkerung, aus der Volksbegehren kommen? Eine NGO? Sie? Ich? Wenn man in die Vergangenheit schaut, hatten Volksbegehren häufig einen parteipolitischen Hintergrund. Spätestens bei der Mobilisierung wird es – die Macht des Internets in allen Ehren – eine Rolle spielen, ob man eine Partei an der Seite hat. Oder, noch effektiver, ein großes Boulevardmedium. Das dann nicht mehr bloß indirekt Druck für Gesetze machen kann.

Und nicht nur über das „Wer“, auch über das „Worüber“ muss man reden. Konsens ist: Über Menschen- und Grundrechte wird nicht abgestimmt. Darüber hinaus wird es aber diffus, kompliziert. Etwa beim Thema EU. In der Theorie klingen Abstimmungen über Neuregelungen gut, in der Praxis könnten sie zu großen Verzögerungen führen. Und es würde sich rächen, dass es soetwas wie Europapolitik in Österreich nicht gibt. Komplex wären auch Abstimmungen über Steuerrecht. Zu komplex, sagen einige. Aber darf die Bevölkerung nur über Einfaches wie „Rauchverbot – ja/nein?“ abstimmen? Gibt es überhaupt einfache Fragen in einer international vernetzten Welt? Und wie weit geht nationale Mitbestimmung in so einer Welt noch? Die Antwort könnte einige ernüchtern.

Überlegen muss man schließlich, was passiert, wenn das Wahlvolk eine Fehlentscheidung trifft. Denn der kluge Bürger, der besonnen Für und Wider abwägt, ist genauso Fiktion wie der ideale Politiker. Natürlich kann man sagen: Schlechter als die Politiker würden wir es nicht machen. Das Problem ist nur: Volksentscheidungen sind de facto sakrosankt. Wer stellt sich im Nachhinein schon hin und sagt: Das Volk hat geirrt.

Das alles heißt nicht, dass man nicht mehr direkte Demokratie einführen soll. Man soll. Man soll es aber zu Ende denken (und nicht wie manche Politiker bei dem Gedanken stehen bleiben, dass man durch ein wenig Partizipation Protestwähler billig vom Protest wählen abhalten kann). Direkte Demokratie ist nämlich kein „Allheilmittel“. Sie hat Risiken und Nebenwirkungen.

ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2012)

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