Bluttat in St. Pölten: War Todesschuss zu verhindern?

(c) APA/ROLAND SCHLAGER (ROLAND SCHLAGER)
  • Drucken

Nach der Bluttat in einer Volksschule werden Forderungen nach einer Ausdehnung des Betretungsverbots laut. Das Innenministerium warnt vor übereilten Entscheidungen. Die wichtigsten Fragen und Antworten hierzu.

Wien. Der achtjährige Bub, der von seinem Vater in einer Volksschule in St. Pölten in den Kopf geschossen wurde und am Sonntag gestorben ist, wurde am Dienstag auf dem Friedhof des Stadtteils St. Georgen am Steinfelde beigesetzt. Unterdessen werden Forderungen nach einer Ausweitung des Betretungsverbots laut. Das Gewaltschutzzentrum Niederösterreich etwa sprach sich für eine Ausdehnung der polizeilichen Befugnisse aus. Demnach soll die Exekutive in Zukunft auch Betretungsverbote für Kindergärten und Schulen verhängen dürfen. Bisher darf das nur ein Gericht. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu diesem Thema:

1. Wer darf in Österreich ein Betretungsverbot verhängen?

Betretungsverbote werden bei drohender Gefahr von der Polizei erlassen. Sie gelten ausschließlich für die Wohnung der Opfer und die unmittelbare Umgebung – also Stiegenhaus, Garten etc. Jedes Jahr werden in Österreich rund 7000 dieser Verbote ausgesprochen.

2. Wie lange gilt ein von der Polizei erlassenes Betretungsverbot?

Es wird zunächst für zwei Wochen verhängt. In dieser Zeit können die Opfer darüber entscheiden, ob sie beim Bezirksgericht um eine Verlängerung ansuchen wollen. Allein der Antrag bewirkt schon eine Verlängerung, die bis zu einem halben Jahr oder bis zur Erlangung der Rechtskraft der Scheidung betragen kann – also auch deutlich länger als sechs Monate. In weiterer Folge können Opfer ein erweitertes Kontaktverbot beantragen. Dieses kann bis zu einem Jahr verlängert werden und für sämtliche Orte (Schulen, Vereine, Ausbildungsstätte usw.) gelten, an denen sich betroffene Kinder aufhalten.

3. Welche Stellen dürfen bzw. müssen von der Polizei nach der Verhängung eines Betretungsverbots informiert werden?

Wenn die Polizei ein Betretungsverbot erlässt, muss sie das Jugendamt, die Interventionsstelle gegen Gewalt und die Staatsanwaltschaft darüber informieren. Dies geschah auch beim 37-jährigen Mann in St. Pölten. Ansonsten darf aus Datenschutzgründen niemand benachrichtigt werden.

4. Plant das Innenministerium nach der Tat in St. Pölten eine generelle Ausweitung des Betretungsverbots?

Das Innenministerium will die Sachlage jetzt in Ruhe prüfen und keine voreiligen Entscheidungen treffen. „Die Frage ist, ob es sich bei der Bluttat in St. Pölten um ein tragisches Ereignis handelt, das nicht zu verhindern gewesen wäre, oder ob man anhand der neuen Erkenntnisse Maßnahmen erarbeiten kann, um solche Taten in der Zukunft zu verhindern“, sagt Karl-Heinz Grundböck, Sprecher des Innenministeriums. Welche Maßnahmen das sein könnten, darüber könne er noch nichts sagen.

5. Wie denken Experten über eine mögliche Ausweitung des bestehenden Betretungsverbots?

Die Wiener Familienrichterin Doris Täubel-Weinreich hält nichts von der Forderung, dass Polizisten Betretungsverbote über zwei Wochen hinaus aussprechen dürfen. In zwei Wochen hätten die Opfer ohnehin genügend Zeit, um das Verbot vor Gericht verlängern zu lassen. Über die Möglichkeit, dass Polizisten das Betretungsverbot nicht nur für die Wohnung der Opfer, sondern auch beispielsweise für Schulen und Kindergärten verhängen können, sollte man ihrer Meinung nach sehr wohl nachdenken. Eine Diskussion darüber sei angebracht.

Außerdem wünscht sie sich eine bessere Vernetzung zwischen Staatsanwälten und Familienrichtern, um Entscheidungen schneller und effektiver treffen zu können. Grundsätzlich betont Täubel-Weinreich, dass man – Kontaktverbot hin oder her – einen Vater nur dann mit Sicherheit davon abhalten könne, seinen Sohn zu töten, „wenn er in Haft oder in einer geschlossenen Anstalt sitzt“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Kommentare

Verbote und ihre Grenzen

Umfassender Kinderschutz lässt sich auch durch strengste Verbote nicht herstellen.
In der Volksschule in St. Pölten-Wagram werden die ersten Schultage nach der Bluttag vorbereitet.
Österreich

Nach Bluttat in St. Pölten: Aufarbeitung hat begonnen

Schulpsychologen beraten mit Lehrern über die ersten Schultage nach dem Todesdrama. SPÖ und Grüne wollen "Gesetzeslücken" schließen.
Österreich

Bluttat in Schule: Bub erliegt Schussverletzung

Der Achtjährige, der am Freitag von seinem Vater angeschossen wurde, ist an seiner Verletzung gestorben.
Österreich

Schule: Vater schießt Sohn in den Kopf

Ein 37-Jähriger holt seinen Sohn aus dem Volksschulunterricht, bringt ihn in den Keller des Gebäudes und schießt ihm eine Kugel in den Kopf – danach erschießt er sich selbst.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.