Einen harten britischen EU-Austritt würde die heimische Wirtschaft spüren, besonders der Zoll ist betroffen. Neue Risiken gäbe es für Arbeitssuchende, Studenten, Tourismus und Politik.
Heute Abend stimmt das britische Unterhaus über das Austrittsabkommen ab, das die britische Premierministerin Theresa May und die EU verhandelt haben. So gut wie alle Beobachter gehen von einer empfindlichen Wahlniederlage aus. Sollte Mays Deal im House of Commons durchfallen, ist die Regierungschefin per Parlamentsvotum dazu verpflichtet, binnen dreier Tage den Abgeordneten einen alternativen Handlungsplan vorzulegen. Was danach kommt, ist völlig offen., doch die Angst vor einem sogenannten harten Brexit - und seinen Folgen - ist groß.
In einem weitgehend funktionierenden Binnenmarkt reißt jeder Austritt eine Lücke in das Gefüge des Handels, der Investitionen und in die politische Balance. Auch Österreich wird deshalb von einem ungeordneten Brexit stärker betroffen sein als bei einem Verbleib Großbritanniens in einer Freihandelszone. Eine Übersicht zu den Auswirkungen auf Österreich:
Nettobeitrag
Österreich müsste nach einem Ausscheiden Großbritanniens mehr Mitgliedsbeitrag an Brüssel abliefern. Großbritannien ist nämlich trotz seines ausgehandelten Rabatts Nettozahler - zuletzt mit rund elf Mrd. Euro jährlich. Diese Summe müssten Großteils andere Nettozahler übernehmen. Laut Expertenschätzungen käme auf Österreich ein zusätzlicher jährlicher Mitgliedsbeitrag von bis zu 150 Millionen Euro zu.
Handel
Für Österreich ist Großbritannien der achtwichtigste Handelspartner. Durch einen Hard-Brexit ist mit Geschäftseinbrüchen zu rechnen, da der Warenhandel mit der Insel auf eine neue rechtliche Basis gestellt werden müsste und Währungsschwankungen zu erwarten sind. Die Auswirkungen würden sich aber in einem engen Rahmen bewegen. Die Wirtschaftskammer rechnete kurz nach dem Brexit-Referendum mit einer Reduzierung der Wirtschaftsleistung um 0,05 bis 0,18 Prozent. Im Finanzsektor ist von einer Neuverteilung der Geschäfte von London nach Frankfurt und Paris auszugehen. Das würde österreichische Banken treffen, die derzeit in der Londoner City engagiert sind.
Besonders betroffen wäre von einem harten Brexit der Zoll, sagt Finanzminister Hartwig Löger. Dort sei ein Mehraufwand zu erwarten. Gleichzeitig werde erwartet, dass sich Warenlieferungen, die bisher etwa aus den USA und China über Großbritannien in die EU importiert wurden, künftig in Länder wie Deutschland oder die Niederlande verlagern werden. Für Österreich blieben diese also innergemeinschaftliche Warenlieferungen, die nicht in Österreich verzollt werden müssen. Es bestehe "kein Grund zur Panik".
Tourismus
Es ist damit zu rechnen, dass weniger britische Urlauber nach Österreich kommen, weil das Pfund bereits aufgrund der Unsicherheit abgewertet hat. Nach einem ungeordneten Brexit ist ein weiterer Sinkflug zu erwarten. Reisen nach Österreich würden dadurch für britische Gäste deutlich teurer, einige würden in billigere Destinationen außerhalb der Eurozone ausweichen. Derzeit kommen rund 800.000 Briten jährlich auf Urlaub nach Österreich. Einbrüche im Tourismus könnte es auch durch Probleme im Flugverkehr geben. Bei einem ungeordneten Austritt sind auch die gegenseitigen Landerechte gefährdet.
Arbeitsmarkt
Ein Hard-Brexit würde für viele EU-Bürger die Chancen auf einen Job in Großbritannien verringern - auch für Österreicher. "Da die Beschränkungen des EU-Zuzugs eines der Hauptargumente der Befürworter eines Brexit war, könnte es hier Problemen geben", zeigte sich Wirtschaftsexperte Kurt Bayer in einer Bewertung für die Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) überzeugt. Er verwies auch darauf, dass allein die heimischen Metall- und Maschinenhersteller bei ihren Tochterfirmen in Großbritannien rund 32.000 Arbeitnehmer beschäftigen. Solche von ausländischen Unternehmen gegründete Firmen würden ihr Engagement reduzieren und Arbeitsplätze streichen. Insgesamt leben rund 25.000 Österreicher in Großbritannien. Sie haben vorerst kein Ende ihrer Arbeitserlaubnis zu erwarten. Schwierig wird es allerdings für alle Neuankommenden.
Studenten
Ein Hard-Brexit könnte zudem die Möglichkeiten für heimische Jugendliche einschränken. Derzeit nehmen 500 bis 600 Studenten jedes Jahr das EU-Programm Erasmus in Anspruch, um in Großbritannien zu studieren. Ob diese Möglichkeit weiterhin bestehen bleibt, hängt von den Verhandlungen zwischen Brüssel und London über die künftige Zusammenarbeit ab.
Politische Balance
Ungeachtet, ob der Brexit nun hart oder weich ausfällt, er wird das für 28 Mitglieder ausbalancierte politische Machtgefüge der EU verändern. Im Rat der EU (Regierungsvertreter) wird sich das Quorum für Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit verändern. Bisher bildet Großbritannien mit Ländern wie Schweden und Dänemark immer wieder ein Gegengewicht zur deutsch-französischen Achse. Londons Ausscheiden würde die Macht für die beiden großen Mitgliedstaaten stärken. Davon wären Österreich und weitere kleinere Länder, die bisher oft als Zünglein an der Waage fungieren konnten, betroffen. Im Europaparlament verfügt Großbritannien derzeit über 73 Abgeordnete. Bleibt die Gesamtzahl der Abgeordneten mit 751 gleich, würde Österreich im Fall eines Brexits ein bis zwei zusätzliche Abgeordnete erhalten. Doch dies ist laut Auskunft der Parlamentsverwaltung noch nicht sicher. Die Sitzverteilung soll nämlich 2019 noch vor der nächsten Europawahl neu verhandelt werden.
(red.)