Stammtisch gegen Lobby im Ökonomenkrieg

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Der Appell von 170 Volkswirten gegen eine Bankenunion schlägt hohe Wellen: Prominente Kollegen protestieren, Schäuble ist empört, Merkel rügt, CSU und Linkspartei applaudieren. Worum geht es in dem Streit?

Berlin. Ökonomie, so heißt es oft, sei eine trockene Wissenschaft. Bei den abstrakten Analysen hinter Uni-Mauern bleiben Emotionen ausgespart. Wenn es je stimmte: Seit Donnerstag stimmt es nicht mehr. In volkstümlichem Ton haben sich 170 deutschsprachige Volkswirte an die „lieben Bürger“ gewandt. Sie warnen vor den Gefahren der Bankenunion, die mit dem EU-Gipfel in Brüssel eingeleitet wurde. Die Initiative mit Hans-Werner Sinn an der Spitze wirbelt mächtig Staub auf. In der Zunft fliegen die Fetzen, und die Politik mischt kräftig mit.

Wolfgang Schäuble (CDU) findet es „empörend“ und „unverantwortlich“, dass die Wissenschaftler mit „Horrormeldungen“ eine „Verwirrung der Öffentlichkeit betreiben“. Der Finanzminister wirft ihnen vor, vor einer Haftung zu warnen, die nie beschlossen wurde. Auch Kanzlerin Merkel belehrt die Akademiker, sie sollten besser die Gipfelbeschlüsse lesen. Euro-Kritiker jubeln über den Rückenwind, Verbände der Steuerzahler und Mittelständler schließen sich an.

Bayerischer Konservativismus vermählt sich mit antikapitalistischem Furor. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt lobt den „mahnenden“ Beitrag. Die Linkspartei-Galionsfigur Sahra Wagenknecht will den großteils liberalen Ökonomen ausnahmsweise nicht widersprechen: „Wo sie recht haben, haben sie recht.“ Mit den Beschlüssen „droht eine Schuldenunion zugunsten der Banker“, in der Steuerzahler „dauerhaft für die Fehlspekulationen der Finanzmafia bluten sollen“. Applaus aus der falschen Ecke? Für Peter Bofinger passt er ins Bild. Der Wirtschaftsweise hält den Appell für „tiefste Stammtischökonomie“. Zusammen mit anderen staatstragenden Volkswirten hat er flugs eine Gegenposition formuliert.

Snower schämt sich für Kollegen

Den Kollegen werden da Behauptungen ohne Fakten, „fragwürdige Argumente“ und eine „von nationalen Klischees geprägte Sprache“ vorgehalten. Der Text richte Schaden an – auch „für das Ansehen unseres Fachs“. Darunter leiden der gewerkschaftsnahe Gustav Horn vom IMK ebenso wie der arbeitgeberfreundliche Michael Hüther vom IW Köln. Dennis Snower vom IfW Kiel schämt sich, „dass so viele Kollegen unterzeichnen“. Kurz: Die Gräben verlaufen kreuz und quer – und sind tief. Weniger freilich bei bloggenden Hobbyökonomen. Der Tenor in den Foren: Wer die Haftung der Steuerzahler für Bankschulden gutheißt, muss ein Lobbyist der Finanzindustrie sein.

Warum schlägt Sinns PR-Coup so hohe Wellen? Aus zwei Gründen: dem klaren Ton und dem unklaren Inhalt. Dass der „hart arbeitende“ Steuerzahler im „soliden“ Deutschland bluten soll, damit „Wall Street und City of London“ ihr Investitionsrisiko in Spanien nicht tragen müssen, die Warnung vor dem Druck der nimmersatten Südeuropäer, der zu „Streit und Zwietracht“ führe, worunter noch „Kinder und Enkel leiden werden“ – solche populistischen Formulierungen ist man von Sinn gewohnt, nicht aber von vielen seiner Mitstreiter. Ihre Rechtfertigung: In einem Appell an die Bürger müsse man eben vereinfachen und zuspitzen, um sich verständlich zu machen.

Haftung durch die Hintertür

Allerdings bewirkt die Zuspitzung auch inhaltliche Unschärfen. Tatsächlich wurde eine „kollektive Haftung für die Schulden der Banken“ in Brüssel nicht vereinbart. Bei diesen Verbindlichkeiten geht es vor allem um die Einlagen der Sparer. Also müsste mit der Haftung eine gemeinsame Einlagensicherung gemeint sein – die aber war bei diesem Gipfel kein Thema. Es spricht jedoch einiges dafür, dass sie der logische nächste Schritt ist. Vorerst geht es beim direkten Zugang der Institute zu ESM-Hilfsgeldern (nach Schaffung einer zentralen Bankenaufsicht) nur um die Rekapitalisierung von Banken, die zu wenig Eigenkapital haben.

Die Appellgegner verweisen auf das US- TARP-Programm: „Das ist der richtige Weg!“ Allerdings sind die Grenzen fließend: Wenn spanische Banken uneinbringliche Forderungen an Immobilienfirmen abschreiben müssen, kürzen die dadurch entstehenden Verluste das Eigenkapital – womit neuerlich rekapitalisiert werden muss. Eine „kollektive Haftung“ sieht nicht viel anders aus.

Im Sinne der 170 Ökonomen hat sich auch Bundesbankpräsident Jens Weidmann geäußert: Der Maastricht-Rahmen der nationalen Eigenverantwortung werde nun „weitgehend entkernt“, ohne dass ein glaubwürdiger neuer Ordnungsrahmen in Sicht wäre. Zwar kann sich auch Weidmann eine gemeinsame Rekapitalisierung von Banken nach Schaffung einer zentralen Aufsicht vorstellen – aber zuvor müssten Anteilseigner und betroffene Staaten Verantwortung übernehmen. Stattdessen würden die Risken immer stärker vergemeinschaftet.

Bofinger (der mit dem „Stammtisch“-Vergleich) macht gar keinen Hehl daraus, dass er sich eben das wünscht: „Es ist an der Zeit, dass die deutschen Ökonomen sich entweder zum Euro bekennen – oder dagegen.“ Und wer für den Euro sei, müsse auch eine gemeinsame Haftung akzeptieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2012)

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