Wachsender Preisdruck setzt Betrieben in Entwicklungsländern zu. Folge sind immer geringere Sicherheitsstandards, die zu Katastrophen wie in Bangladesch führen.
Dhaka. Das Feuer brach am Samstagabend aus, erfasste bald das gesamte neunstöckige Gebäude der Fabrik vor den Toren der Hauptstadt Dhaka. Mehreren hundert der meist weiblichen Arbeiter war der Fluchtweg versperrt. Zu viele Personen arbeiteten hier auf zu engem Raum. Um den Flammen zu entkommen, sprangen einige von ihnen aus dem Fenster. Am gestrigen Sonntag gab die Feuerwehr die erschreckende Bilanz bekannt: Mindestens 109 der Beschäftigten des Textilunternehmens, das unter anderem für die Handelskette C&A produziert, kamen bei der Brandkatastrophe ums Leben.
Die Katastrophe in Bangladesch ist ein weiterer Hinweis auf Missstände in zahlreichen Textilunternehmen, die sich seit zwei Jahrzehnten in Entwicklungsländern angesiedelt haben. Erst im September waren in einer Fabrik in Pakistan 259 Menschen bei einem Brand ums Leben gekommen. Auch dort fehlten Fluchtwege, die Hallen waren viel zu eng mit Näharbeitsplätzen bestückt. Vor sechs Jahren sind in Bangladesch bei einem ähnlichen Unglück 61 Menschen gestorben.
Kaum staatliche Kontrolle
Kleidung ist mittlerweile das Hauptexportgut von Bangladesch. 79 Prozent der Ausfuhren sind Textilien. Sie gehen vor allem nach Europa und in die USA. Mittlerweile gibt es rund 4500 solcher Betriebe im ehemals ärmsten Land der Welt. Die Abwanderung der Textilproduktion aus Hochlohnländern Europas wurde hier einst als Segen wahrgenommen. 1987 lebten 28 Prozent der Bevölkerung von weniger als einem Dollar pro Tag, 2002 waren es nur noch acht Prozent. Die Lebenserwartung ist von 44 Jahren Anfang der 1970er-Jahre auf heute 62 angestiegen. Doch der bescheidene Aufschwung geht mit Arbeitsbedingungen einher, die von der Internationalen Arbeitsorganisation ILO und zahlreichen NGOs regelmäßig kritisiert werden. Es gibt kaum staatliche Kontrollen der Betriebe. Schichten von bis zu 16 Studen gehören zum Alltag der meist weiblichen Arbeitskräfte. Auf Brandschutz oder Sicherheitsmaßnahmen bei den verwendeten Chemikalien wird kein Wert gelegt. Gewerkschaften sind in den meisten Betrieben nicht zugelassen. Erst im April wurde in Bangladesch Aminul Islam, Arbeiterführer und Vorsitzender des „Centre for Workers' Solidarity", ermordet aufgefunden, sein Körper von Folterspuren gezeichnet. Er hatte sich für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne eingesetzt.
Konkurrenz wächst
Die Konkurrenz unter den tausenden Textilbetrieben von Ländern wie Pakistan, Indonesien, Bangladesch oder Vietnam wächst. Der Kampf um Marktanteile hat im vergangenen Jahrzehnt den Preisdruck auf die Produzenten weiter erhöht. Handelsketten aus Europa und den USA bestellen ihre Produkte mittlerweile über Internetauktion. Dabei werden von den Auftraggebern nur noch die gewünschten Schnitte und Materialen für Kleidungsstücke ins Netz gestellt. Um einen Auftrag zu erhalten, müssen sich die Lieferanten gegenseitig unterbieten, bis die Handelskette den gewünschten Kaufpreis erzielt hat. Einzig China konnte sich in den letzten Jahren aus dieser Abwärtsspirale durch eine wachsende Inlandsnachfrage retten. Dennoch blieben auch dort die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken prekär.
Die Fabrik in Bangladesch, die in der Nacht zu Sonntag völlig ausgebrannt ist, hatte einen Auftrag von C&A für 220.000 Sweatshirts. Sie sollten bis Februar hergestellt werden. „Unser Mitgefühl gilt den Opfern dieses furchtbaren Unglücks sowie deren Familien und Angehörigen", sagte ein Unternehmenssprecher der Handelskette. Über die Arbeitsbedingungen und Sicherheitsstandards wollte er sich nicht äußern. Der Sprecher versicherte aber, dass sich das Unternehmen dafür verantwortlich fühle, sich darum zu „kümmern" und es werde sich um Aufklärung der Katastrophe bemühen.