"Unser Reichtum muss auf breiten Schultern ruhen"

Unser Reichtum muss breiten
Unser Reichtum muss breiten(c) Reuters
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Ein kämpferischer US-Präsident zeigt sich in seiner Angelobungsrede fokussiert auf Einwanderung, Waffen und Jobs.

[WASHINGTON] Auf dem schmalen Grat zwischen der Großzügigkeit eines demütigen Staatsmannes und der Entschlossenheit eines stolzen Wahlsiegers hat Barack Obama am Montag seine zweite Amtszeit als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika begonnen. Die Grundmotive dieser Ansprache vor dem Washingtoner Kapitol waren dieselben wie bei so gut wie allen Vorgängern Obamas: Anrufung der einmaligen Geschichte Amerikas, Einkreisung der Herausforderungen des Tages, Verbeugung vor der amerikanischen Verfassung, Beschwörung des Zusammenhalts der Bürger und die Rolle des Staates.

Breitseite gegen die Republikaner

Doch Obama schoss eine Breitseite gegen die ihm feindlich gesinnten Republikaner ab. Er sagte, die staatlichen Sozialprogramme machten „uns nicht zu einer Nation der Nehmer; sie befreien uns, damit wir die Risiken eingehen können, die dieses Land groß machen." Damit spielte er auf die wiederholte Unterstellung von Paul Ryan an. Der republikanische Kandidat für die Vizepräsidentschaft hatte Obama im Wahlkampf mehrfach vorgeworfen, er wolle „einen sozialen Wohlfahrtsstaat schaffen, eine Wiege-bis-zur-Bahre-Gesellschaft, in der er es mehr Nehmer als Macher gibt."

Zudem forderte Obama seine Gegner auf, den ideologischen Grabenkrieg zu beenden, der die die Gesellschaft tief spaltet: „Unseren Gründungsdokumenten treu zu bleiben verlangt von uns nicht, dass wir uns über jeden Aspekt des Lebens einigen. Es bedeutet nicht, dass wir alle Freiheit auf die genau gleiche Weise definieren. Fortschritt nötigt uns nicht dazu, jahrhundertealte Debatten über die Rolle der Regierung endgültig zu lösen, aber er verlangt von uns, jetzt zu handeln."
Der Präsident, von seinen Anhängern ebenso verehrt wie von seinen Gegnern verachtet, appellierte wortreich an den Gemeinsinn der Amerikaner: „Wir sind für diesen Moment gemacht, wir müssen diese Dinge gemeinsam tun, als eine Nation und als ein Volk." Amerikas Reichtum müsse „auf den breiten Schultern einer aufstrebenden Mittelklasse ruhen", die Nation könne keinen Erfolg haben, „wenn es einer schrumpfenden Minderheit sehr gut geht und eine wachsende Mehrheit kaum über die Runden kommt."

Als vorrangige Aufgaben, die es gemeinsam anzupacken gelte, nannte Obama die Antwort auf „die Bedrohung des Klimawandels", die Reform der Einwanderungspolitik („Unsere Reise ist nicht vollendet, bevor wir einen besseren Weg finden, die strebsamen, hoffnungsvollen Einwanderer besser willkommen zu heißen, die Amerika noch immer als Land der Chancen sehen") sowie Gleichberechtigung der Frauen am Arbeitsmarkt und der Homosexuellen am Standesamt.

Die größte politische Aufgabe, die er sich vorgenommen hat, erwähnte Obama nur in einer Anspielung: die Verschärfung der Waffengesetze. „Unsere Reise ist nicht vollendet, bevor nicht alle unsere Kinder, von den Straßen von Detroit über die Hügel der Appalachen bis zu den stillen Gassen von Newton wissen, dass sie stets sicher vor Gefahr sind."

„Das größte Ereignis seit 9/11"

Der Mord an 26 Kindern und Lehrerinnen an der Sandy-Hook-Schule in Newtown hat Amerikas Umgang mit den Waffen und die Erpressbarkeit vieler Politiker beider Parteien durch die Waffenlobby ins Zentrum von Obamas Politik gerückt. „Die Zeichen dafür sind überall zu finden", sagte Michael Cornfield, Politikwissenschaftler an der George Washington University. Er verweist auf die präsidentiellen Verordnungen zur Eindämmung des Missbrauchs von Schusswaffen, die Obama vergangene Woche verkündet hat, also noch vor Beginn seiner zweiten Amtszeit. „Newtown war für die amerikanische Volksseele das größte Ereignis seit 9/11." Jeweils mehr als die Hälfte der vom unparteiischen Forschungsinstitut Pew Research Center befragten Amerikaner befürwortet Verbote des Verkaufs von Sturmgewehren und halb automatischen Waffen.

Obamas neue Machtbasis

Um möglichst weit auf dieser Woge der öffentlichen Meinung zu reiten, schafft sich Obama eine neue, von der demokratischen Partei unabhängige Machtbasis. Seine zweimal erfolgreiche und exzellent organisierte Wahlkampfplattform wird heute, Dienstag, unter dem Namen „Organizing for Action" als dauerhafte Organisation präsentiert. Der bisher im Weißen Haus tätige Jon Carson leitet „Organizing for Action", und er machte die Stoßrichtung klar: „Die Agenda ist einfach: Was wollen wir von unserer Bundesregierung? Es wird Zeiten geben, in denen wir uns auf nationaler Ebene konzentrieren, um Präsident Obama bei der Schaffung wichtiger Gesetze zu helfen, wie Senken der Waffengewalt oder Zuwanderungsreform."

Einzelheiten seiner Vorhaben wird Obama am 12. Februar dem Kongress vortragen - ein signifikantes Datum: An diesem Tag wurde Abraham Lincoln geboren, das große Vorbild des Präsidenten und ein Mann, der (in den Worten des Historikers Merrill Peterson) seinen „Sitz der Macht zu einem Sitz der Gnade" machen wollte, um die im Bürgerkrieg entzweite Nation zu versöhnen.

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