Gastkommentar

ÖVP und SPÖ: Woher kommt diese Abneigung?

Peter Kufner
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Die einstigen Koalitionspartner ÖVP und SPÖ schließen heute eine Zusammenarbeit vehementer aus denn je. Wie ist das zu erklären? 

Die Wahl von Andreas Babler zum SPÖ-Vorsitzenden hat eine Koalition mit der ÖVP auf absehbare Zeit verunmöglicht. Babler schließt eine Zusammenarbeit mit der Volkspartei aus, wenngleich er seine Politik rhetorisch kaschiert. Er schließt damit an einen Diskurs an, der in jüngster Vergangenheit von der ÖVP geprägt wurde: Der Aufstieg von Sebastian Kurz stützte sich auf eine fundamentale Ablehnung der Großen Koalition. Aus diesem Teil des türkisen Erbes hat sich die heutige ÖVP noch nicht befreit, weshalb ihr der „Marxist“ Babler nur recht sein kann, um in Presseaussendung nach Presseaussendung die Abgrenzung zur SPÖ zu begründen. Spitzenpolitiker beider Parteien werben zurzeit um imaginierte und sich gegenseitig ausschließende Kollektive: die „Normaldenkenden“ (Mikl-Leitner) oder „unsere Leute“ (Babler).

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Politischen Parteien steht es frei, Zusammenarbeit zu suchen oder auszuschließen. Zu fragen bleibt, wieso Österreich so polarisiert ist, dass es aus Sicht von SPÖ und ÖVP keinen Raum für Kompromisse gibt?

Seit Ende des Zweiten Weltkriegs waren SPÖ und ÖVP 45 Jahre lang Teil einer gemeinsamen Koalition. In den vergangenen 35 Jahren haben sie 24 Jahre lang gemeinsam regiert. Nach 1945 teilten beide Parteien eine Perspektive: Österreich sollte eine parlamentarische Demokratie werden, die auf marktwirtschaftlicher Grundlage beruhen, aber die Interessen von Unternehmen und Beschäftigten ausgleichen solle. Zum Teil mussten die Parteien dazu von den Alliierten angestoßen werden und der Republik wurde mit der Opferthese ein gemeinsamer und für die nationalsozialistischen Täter bequemer Gründungsmythos gegeben.

45 Jahre Koalition und jetzt?

Für SPÖ und ÖVP war das lange erfolgreich. Bis zur FPÖ-Obmannschaft von Jörg Haider 1986 hatten sie gemeinsam im Schnitt 89,7 Prozent der Stimmen und fielen seit 1945 nie unter 83 Prozent.

Politische Kompromisse wurden in diesem Rahmen möglich, weil das Land säuberlich zwischen den beiden Parteien aufgeteilt war und die Schaffung dieser politischen Filterblasen avant la lettre einen Rückfall in die gewaltvolle Zwischenkriegszeit verhindert hat. . Langfristig erkaufte die lange und nicht nur positive Dominanz von ÖVP und SPÖ Erfolge, Österreich ist heute in fast allen sozio-ökonomischen Indikatoren im guten OECD-Mittelfeld: Lebenserwartung stabil im oberen Drittel, Bildungschancen zwar stark an elterliche Herkunft gebunden aber bei weitem sozial durchlässiger als andere europäische Bildungssysteme, Kinderarmut himmelsschreiend hoch aber unter dem OECD-Schnitt, Gender Pay Gap durch nichts zu rechtfertigen aber weniger deutlich als in den Niederlanden, Deutschland oder Großbritannien. 

Die bis in die 1980er-Jahre dauernden Höhenflüge sind längst vorbei. Doch, ohne Unterschiede verwischen zu wollen, blieb die grundlegende gemeinsame Ausrichtung beider Parteien ähnlich. Die SPÖ hat in den 1990ern sogar den Sozialismus aus dem Namen gestrichen. Die Sozialpartnerschaft selbst ist entgegen sozialdemokratischer Kritik an deren „Zerschlagung“ noch auffallend aktiv. Trotz der ÖVP-Alleinregierung in den 1960er-Jahren oder den Jahren von Schwarz-Blau betonen politikwissenschaftliche Studien den österreichischen „Neo-Korporatismus“ bis heute.

Fatale Ergebnisse

Selbst in vielen Fragen der sogenannten Kulturkämpfe herrscht Einigkeit: Die bestehende Fristenregelung zur Abtreibung aus dem Jahr 1975 (Straffreiheit der Abtreibung in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft) wird von beiden akzeptiert. Obwohl die ÖVP in ihrem Grundsatzprogramm schreibt, den Schwangerschaftsabbruch abzulehnen, sehe sie in strafrechtlicher Verfolgung „keine geeignete Lösung“. Und bei allen Unterschieden in dieser frauenrechtlich bedeutsamen Frage sollte man nicht vergessen, dass die männliche Führung der SPÖ in den 1970er Jahren durch aktivistische Frauen erst zur Fristenlösung gedrängt werden musste. Selbst in Asylfragen ist man sich weitgehend einig. Zwar hat die SPÖ 2018 gegen die von Herbert Kickl vorgebrachten und von der ÖVP unterstützten Verschärfungen im Asylrecht gestimmt. Das zugrundeliegende Fremdenrechtspaket wurde jedoch 2005 mit Stimmen der SPÖ-Abgeordneten bereits so verschärft, dass der Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) argumentierte, das Gesetze würde „einem fairen und effizienten Asylverfahren entgegenstehen“.

Im größeren historischen Bogen haben diese grundlegenden Gemeinsamkeiten trotz bestehender Defizite aus Österreich einen modernen und demokratischen Staat gemacht, was angesichts starker autoritärer Tendenzen nach 1945 keine Selbstverständlichkeit war. Eine wichtige Grundlage für die Wahl von Sebastian Kurz 2017 war es, diese Gemeinsamkeiten zu verwischen und einen Sachzwang herzustellen, der zu einer beinahe vorprogrammierten Zusammenarbeit mit der FPÖ führte.

Die Wahl von Andreas Babler scheint diesen konstruierten Sachzwang auf absehbare Zeit zementiert zu haben. Der gegenseitige Ausschluss hat fatale Ergebnisse: Denn war es für die niederösterreichische Volkspartei so undenkbar, mit der SPÖ Kompromisse zu finden, dass sie mit der FPÖ unter Udo Landbauer koalieren musste, der sich bis heute nicht von den offen zum Judenmord aufrufenden Liedern seiner Burschenschaft distanziert hat? Und ist eine Koalition mit der ÖVP auf Bundesebene für die Sozialdemokratie wirklich so unmöglich, dass man sehenden Auges eine neuerliche Regierungsbeteiligung der FPÖ in Kauf nimmt? Es ist zumindest nicht selbsterklärend, warum Bablers Programm mit anderen Parteien, etwa den NEOS, besser umgesetzt werden könnte.

Seltsame Grabenkämpfe

In vielen Fällen ist diese Binnenlogik politischer Gegnerschaft an Außenstehende kaum mehr kommunizierbar. Eine anknüpfungsfähige und über die Kämpfe des Februar 1934 hinausweisende positive Erinnerungskultur, die auf die durchaus beachtliche Transformation Österreichs nach Ende des Nationalsozialismus verweist, scheint zumindest ein alternativer Weg zur gegenseitigen Abgrenzung zu sein. Politische Differenzen muss man dabei nicht in Wohlgefallen oder gar einer teleologischen Nationalgeschichtsschreibung auflösen. Schon gar nicht sollte das die Aufgabe von Historikerinnen und Historikern sein, denen die politischen Effekte ihrer Forschung auf die Gegenwart egal sein müssen. Aber Parteien haben ihre eigenen und von der Wissenschaft unabhängigen Erinnerungsformen. Und es mutet von außen betrachtet zumindest eigenartig an, dass sich die jüngste österreichische Zeitgeschichte trotz ihrer langfristigen Erfolge in solchen politischen Grabenkämpfen bewegt.

Solange der Modus der Abgrenzung so tief wie heute in den Parteistrukturen verankert ist, scheint die Hoffnung auf eine Veränderung gering. Die von Kurz aus politischen Motiven professionalisierte Abneigung gegenüber der Großen Koalition scheint mit Babler nun seine sozialdemokratische Entsprechung gefunden zu haben. Staatliche Verantwortung, auch gegenüber dem bereits Erreichten, sieht anders aus.

Der Autor:

Dr. Roman Birke (*1988) ist in Wien geboren und aufgewachsen. Er ist Historiker und arbeitet an der Friedrich-Schiller-Universität Jena zur internationalen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. 

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