Berichterstattung

Rammstein-Vorwürfe: Berichte für Medienanwältin „differenziert“

Eine Demo gegen die Band Rammstein in Berlin am 15. Juli.
Eine Demo gegen die Band Rammstein in Berlin am 15. Juli. IMAGO/BEAUTIFUL SPORTS/Luciano Lima
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Während die Anwälte von Till Lindemann rechtlich gegen die Berichterstattung über die Causa Rammstein vorgehen, sehen Medienanwälte das mediale Interesse gerechtfertigt.

Über die von Frauen geäußerten Vorwürfe rund um sexuelle Übergriffe gegen Rammstein-Frontmann Till Lindemann und nun auch Keyboarder Christian Lorenz wird in vielen Medien groß berichtet. Das hat auch die Anwälte der Musiker auf den Plan gerufen, die gerichtlich gegen Berichte vorgehen und eine „völlig aus dem Ruder gelaufene Verdachtsberichterstattung“ orten. Auf Medienrecht spezialisierte Anwälte zeichnen ein differenzierteres Bild.

„Sofern es strafrechtliche Vorwürfe betrifft und über die Verdachtslage zutreffend berichtet wird, diese also nicht übertrieben wird und allfällige entlastende Umstände verschwiegen werden, ist eine Berichterstattung über die Vorwürfe zulässig“, halten Anwalt Michael Rami und Associate Pia Kern zur Rechtslage in Österreich fest. Denn die Medien üben auch eine Warnfunktion für die Gesellschaft aus. Zudem handle es sich bei den Betroffenen um Personen des öffentlichen Lebens. Anwältin und Medienrechtsexpertin Maria Windhager sieht das ähnlich. „Die Berichterstattung, die ich wahrgenommen habe, ist sehr differenziert und ausgewogen. Es dürfte sich weitgehend um eine zulässige Verdachtsberichterstattung handeln.“

Recht auf Privatssphäre

Aber auch Personen des öffentlichen Lebens haben ein Recht auf Privatsphäre. Im Fall von Till Lindemann werde in manchen Artikeln in Sachen Sexualleben ein Verhalten unterstellt, das strafrechtlich nicht relevant sei, sagt Rami. Doch wie jüngst das Landgericht Hamburg feststellte, dürfe auch über Teile davon berichtet werden, da es Lindemann einst selbst öffentlich gemacht habe. Er zeigte bei einem Konzert ein Video, auf dem er unter einer Bühne beim Sex mit einer Konzertbesucherin zu sehen ist.

Dem Magazin „Spiegel“ wurde vom Gericht allerdings untersagt, den Verdacht zu erwecken, Lindemann habe Frauen bei Konzerten mit K.O.-Tropfen, Drogen oder Alkohol betäubt oder betäuben lassen, um an ihnen sexuelle Handlungen vornehmen zu können. Für diesen Verdacht fehle der erforderliche Mindestbestand an Beweistatsachen, so das Gericht in seiner nicht rechtskräftigen Entscheidung.

Öffentliches Interesse ausschlaggebend

Ob die Schwere der Vorwürfe eine üppige Berichterstattung rechtfertigt, sei eine verlegerische Frage, keine rechtliche, so Rami. Rechtlich sei nur entscheidend, ob öffentliches Interesse bestehe - was hier zu bejahen sei - und ob wahrheitsgemäß über die Verdachtslage berichtet werde. Trifft dies nicht zu und wird ein Betroffener etwa als de facto bereits überführt dargestellt, obwohl kein Urteil vorliegt, und damit die Unschuldsvermutung verletzt, könne er auch gerichtlich dagegen vorgehen, so der Rechtsanwalt. Das komme in der Praxis recht häufig vor.

Oftmals ist auch von Einschüchterungsklagen - sogenannten SLAPP-Klagen - die Rede, wenn gegen unbequeme Berichterstattung oder gegen jene Personen, die Missstände äußern, vorgegangen wird. Windhager ortet auch hinsichtlich der Berichte zu Rammstein Einschüchterungsversuche. „Und ich fürchte, sie wirken. Ich vermute, dass es noch mehr betroffene Frauen gibt, die sich davon bereits abschrecken haben lassen. Das macht die mediale Aufarbeitung sehr schwierig“, sagt sie. Prinzipiell sei sachbezogene Berichterstattung sehr zu begrüßen, „weil tabuisierte Missstände endlich öffentlich thematisiert werden. Darüber kann gar nicht genug berichtet werden.“

Die Anwälte Lindemanns sprachen von einer „in jüngster Zeit völlig aus dem Ruder gelaufene Verdachtsberichterstattung zum Thema ‚MeToo‘“, um hohe Klickzahlen zu generieren. Windhager teilt diese Ansicht nicht. „Die Anforderungen an eine zulässige Verdachtsberichterstattung sind sehr hoch. Es muss möglich sein, über solche Erfahrungen, die ja oft nicht einmal strafrechtlich relevant sind, berichten zu können.“ Rami merkt an, dass man nie ausschließen könne, dass manche Medien eine rechtswidrige Berichterstattung bewusst in Kauf nehmen, um damit eine höhere Reichweite zu erzielen. „Auch dieser Umstand war ein Grund, warum in Österreich mit dem Hass-im-Netz-Bekämpfungsgesetz (Anm.: 2021 in Kraft getreten) die Obergrenze für Entschädigungen nach dem Mediengesetz erhöht wurden.“

Mehrere deutsche Medien berichteten vor wenigen Tagen auch über Vorwürfe zweier Frauen zu mutmaßlichen sexuellen Übergriffen, die der Rammstein-Keyboarder Lorenz verübt haben soll. Dieser wies die Vorwürfe, die sich laut den Frauen vor über 20 Jahren zugetragen hätten, zurück. Strafrechtlich können Straftaten verjähren und damit nicht mehr verfolgt werden. „Medienrechtlich muss der Umstand, dass die vermeintliche Tat bereits 20 Jahre zurückliegt, bei der Interessensabwägung zwischen dem Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit berücksichtigt werden. Auch hier überwiegt aber unseres Erachtens das öffentliche Interesse an einer - neutralen und wahrheitsgemäßen - Berichterstattung gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse des Keyboarders, zumal der Tatvorwurf jene Tätigkeit betrifft, die er nach wie vor ausübt“, so Rami und Kern.

Dabei stünde für viele Frauen gar nicht so sehr eine strafrechtliche Verfolgung an oberster Stelle, merkt Windhager an. „Es geht vielmehr um das Aufzeigen von Machtmissbrauch und einen Kulturwandel in der Debatte, dass solche Schilderungen ernst genommen werden“, meint die Anwältin. Rammstein treten am 26. und 27. Juli im Ernst-Happel-Stadion in Wien auf. Am Tag der ersten Show ist eine Kundgebung angekündigt, die „Keine Bühne für Täter“ fordert. (APA)

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