Hosenanzug: Skandalös, oder doch ganz brav?

Er provozierte Skandale, brach mit Normen und steht
heute oft für normierte Biederkeit: der Hosenanzug.

Der Hosenanzug, ein altbekannter und auch in der Damenmode immer wieder gern gesehener Zweiteiler, scheint in dieser Saison in die nächste  Runde zu gehen. Denn historisch gesehen war er einst als Komplize im Zwist der stereotypisierten Normen und Geschlechterrollen auch für deren Aufbrechen mitverantwortlich.
Ungeachtet der begrifflichen Doppelung des im Sprachgebrauch männlich konnotierten Anzuges durch das – ebenfalls maskulin besetzte – Wort „Hose“ impliziert der „Hosenanzug“ erstaunlicherweise eine weibliche Figur als seine Trägerin (schließlich käme bei einem Mann keiner auf die Idee, ihn akkurat im „Hosenanzug“ gesehen zu haben). Diese Kombination taucht im 20. Jahrhundert immer wieder als „Trend“ an die Oberfläche, selbst wenn er auch in weniger prominenten Phasen sehr präsent bleiben durfte.
Zumindest blieb er ein Dauergast auf der politischen Weltbühne, die Frauen als Akteurinnen zuließ – wenn auch stets äußerst schlicht, mit einem Hang zur Biederkeit. Zugleich beansprucht der Hosenanzug die eigentliche Autorenschaft des Powerdressings. Bis heute gibt er sich ja als Stilmittel inklusive einer auratischen Hülle, die der Verkörperung von Macht gleichkommen soll, obwohl seine Bedeutung in Richtung der Normiertheit verrutscht sein mag. Dessen ungeachtet wird sein wiederholtes Comeback in Modekritiken stets aufs Neue mit Beifall bedacht, die Lobeshymnen auf den maskulinen Stil erfolgen da zumeist unter Betonung des „boyish look“ oder der „sexual power of androgyny“.



Amorphe Figuren. Anhaltend schwirrt die Figur des Dandys mit seinem nervös-betuchten Erscheinen durch alle Ausführungen zum Thema des klassischen Anzugs in größtmöglicher Perfektion. Schließlich dient auch der Herrenanzug als Hilfsmittel für die Inszenierung von Identitäten und geriet so letztlich zur Vorlage für eine amorphe Überschneidung zwischen den schönsten aller Zwitterwesen: dem Dandy und der Diva.
Der Eklat, den Marlene Dietrich in den Dreißigerjahren mit dem Tragen eines Herrenanzuges auslöste, war für die Öffentlichkeit eine skandalumwitterte Offenbarung, die ein neues Bild der modernen Frau zeichnete. Die Kombination, die sie als Filmkostüm in von Sternbergs „Marokko“ trug, endete im musealen Kontext und war bis Ende Jänner 2013 in der Ausstellung „Hollywood Costume“ im Victoria & Albert-Museum in London zu sehen.

In einem weniger öffentlichen Zusammenhang war die Damenhose schon zuvor angekommen, und das in sehr unterschiedlichen Feldern: zum einen nämlich bei Vertreterinnen der Avantgarde, der Emanzipations- sowie Reformbewegung, zum anderen als Arbeitsmontur für Fabrikarbeiterinnen. Trotzdem dürfte die in Kombination mit einem passenden Jackett getragene Hose noch weiter, und vielleicht einen Schritt zu weit in das Revier der als „männlich“ perzipierten Kleidersphären eingedrungen sein. Am Ende ging es schließlich nicht um ästhetische Wirkung und praktischen Nutzen, sondern Attribute der männlichen Herrschaft, die es offenbar zu verteidigen galt.
Inmitten der zweiten Welle der Frauenbewegung wurde dann der Großmeister Yves Saint Laurent für seinen „Le Smoking“ gefeiert. Der androgyne und verhüllende Stil des modifizierten Abendanzugs funktionierte zwar als stofflicher Gegenspieler des aufkommenden Minirocks, doch schrieben beide sich in dasselbe Kapitel der Modegeschichte ein.

Seinen Höhepunkt erreichte der Hosenanzug wieder 30 Jahre später, als Modelabels wie Jil Sander, Armani und auch Helmut Lang ihm erneut erfolgreich Leben einhauchten und er den Status eines Kassenschlagers erlangen durfte.
Inzwischen legitimiert, war er so stetiger Begleiter einer Generation von Frauen vom Büroschreibtisch bis zum Cocktailempfang und wurde zum modebewussten Statement in Abgrenzung zum Einheitslook des grauen Business-Hosenanzugs. Andererseits war nämlich eine, durch ihre ideengeschichtlich bedeutsame Vorreiterrolle aufgeladene, Spielart der Mode zu einer normierten und uniformierten Bekleidung geraten. Trotz Variablen in Stoff und Schnitt, und seien diese noch so knallbunt, fischgrätig oder brokatig, scheint am Ende auch der (funktionell definierte) Aspekt einer strengen Form dominant zu bleiben. So wurde der Hosenanzug zu dem, was er heute ist – nämlich einer Folie der fragmentierten Moderne und zuletzt zu einem Tarnanzug.

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