Wagner-Geburtstag: Erzrichard und sein Siegfried Stardust

Jonathan Meese, „Kein Dreckskonsens“.
Jonathan Meese, „Kein Dreckskonsens“.(c) Klinger-Forum
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Eine Ausstellung in der Klinger-Villa in Leipzig zeigt, wie sich Kiefer, Meese, Lüpertz u.a. dem "Mythos Wagner" nähern; das Stadtgeschichtliche Museum befasst sich mit "Wagnerlust & Wagnerlast".

„Der Mensch ist auf dem Planeten, um der Kunst zu dienen.“ „Kunst ist immer das Radikalste.“ „Kein Dreckskonsens.“ Oder: „Erzrichard Wagner ist Totalinstinkt.“ Der deutsche Künstler Jonathan Meese nähert sich dem Mythos Wagner in seinen Manifesten und in den Slogans, mit denen er seine Wagner-Porträts ziert, in der Rolle des tumben Toren, der ach so gern ein Ritter der Ideologie wäre, die er bei Wagner finden will: der Diktatur der Kunst. Dazu versetzt er sich in den Gestus des Wahnsinnigen: Meeses Sätze peitschen und brüllen wie die des (sehr) späten Nietzsche.

Wie ernst meint er seine Wagner-Verehrung? Wie ernst meint er seinen Wahnsinn? Oder ist all das nur ein ironisches Projekt? Der Versuch, einen Teufel mit Beelzebub auszutreiben?

Für Wagner-Freunde spannend sind diese Fragen, seit sie wissen, dass Jonathan Meese 2016 in Bayreuth den „Parsifal“ inszenieren wird. Wird er – wie Christoph Schlingensief 2004 – seine eigenen Obsessionen in Wagners Bühnenweihfestspiel suchen? Oder die Obsessionen, die er in Wagners Text und Musik zu finden glaubt? Wird er sein (oft blödes, manchmal erschreckendes) Getändel mit Nazi-Ästhetik und -Ideologie in Bayreuth fortsetzen? Davon zumindest ist im Manifest nichts zu lesen, das er in der Leipziger Ausstellung aufgelegt hat, als Ergänzung zu den groblinigen Porträts, die Wagner als Herrscher zeigen. Dort liest man Sätze wie „Parsifal ist versachlichtes Gelée royale“. Assoziationsmotor, spring an!

Von Gierke: Staubige Ausgrabungsstätte

Können heutige Künstler dem Bild des Totalkünstlers Wagner etwas hinzufügen? Das fragt die Ausstellung „Mythos Wagner“, zu sehen in der Klinger-Villa, in der einst der mit Wagner vielfach geistesverwandte Maler und Bildhauer Max Klinger (siehe auch Artikel unten)lebte. Man darf halbherzig antworten: Sie versuchen es; und es ist oft interessant, wie sie es tun. In der quasi freudianischen Rolle des (Seelen-)Archäologen tut es der Maler Henning von Gierke, der Bühnenbild und Kostüme für Wagner-Inszenierungen besorgt und beim „Fliegenden Holländer“ in München 1990 selbst Regie geführt hat. Er hat aus seiner Wagner-Vergangenheit eine gehörig staubige Ausgrabungsstätte gemacht, in der Requisiten (Schwert, Schwan), aber auch Täfelchen mit Begriffen (Glaube, Kuss, entweihte Götter) als Fundstücke am Tageslicht sind – die Stücke, die er noch nicht bebildert hat, sind noch unter der Erde.

Schutt und Asche auch in Anselm Kiefers Holzstich „Brunhild Grane“ (1993): Das Pferd Grane, von Brünnhilde in die Flammen geritten, hat die Götterdämmerung nicht überlebt, aber es steht noch, während die Flammen züngeln. Ein dichtes Mahnmal der Mythen der Zerstörung, vielleicht auch der zerstörerischen Mythen.

Verspielt und kindlich, wenn auch nicht kindisch wirken dagegen die Objekte des Hamburger Künstlers Thorsten Brinkmann: Sein Raum ist rosa, wie ein Gemach Wagners in seinem Bayreuther Haus Wahnfried, und er zeigt „La vie en RoseRock“: Siegfried (der wohl in Anlehnung an David Bowies Ziggy Stardust „Siggi di Star“ heißt) erinnert an Darth Vader, Alberich trägt eine zerbeulte Konservendose über dem Kopf. In Plastikterrarien tummeln sich Waldvöglein, Drache und Rheintöchter... Alles ein bisschen „queer“, jedenfalls allerliebst.

Wie Markus Lüpertz den Parsifal sieht

An Kinderzeichnungen von Gesichtern erinnern die Parsifal-Porträts von Markus Lüpertz, und doch – durch die Neigung des Kopfes – haben sie etwas von Darstellungen des Schmerzensmannes. „Männer ohne Frauen – Parsifal“ hat er sie 1993 genannt und zu verstehen gegeben, dass er damit auf die Situation der DDR-Männer anspiele, die vergeblich auf Frauensuche waren: eine doch etwas handfeste Interpretation des zentralen „Parsifal“-Themas Keuschheit.

Gemeinsam ist den fünf Zugängen zum „Mythos Wagner“ eines: Sie spielen mit den fließenden Grenzen zwischen Großem und Gefährlichem und/oder zwischen Erhabenem und Lächerlichem. Wie die Kaskade von „wagnerianischen“ Wörtern, die den Leipzig-Besucher auf der Fassade des Stadtgeschichtlichen Museums empfängt: „Götternot“, „Liebestod“, „Venusberg“, „Weihegruß“, „Minnetraum“ etc. „Wagnerlust & Wagnerlast“ heißt die Ausstellung, die auch an das Wagner-Jubiläum vor 100 Jahren in Leipzig erinnert. Damals begannen die deutschnationalen Interpretationen des Wagner-Werks zu wuchern, sogar der seriöse Germanist Albert Köster sagte bei der Feier am 22.Mai 1913 im Gewandhaus: „Das war das letzte Ziel, für das Wagner kämpfte: Nicht ein Musikdrama schlechthin, sondern ein nach Gehalt und Form deutsches Musikdrama schlechthin wollte er seinem Volke schaffen.“ Solche Töne wird man am 22.Mai 2013 weder in Leipzig noch anderswo hören.

„Mythos Wagner“ in der Klinger-Villa, bis 7.Juli; nur Freitag, Samstag, Sonntag!

„Wagnerlust & Wagnerlast“ im Stadtgeschichtlichen Museum, bis 26.Mai, an allen Tagen außer Montag.

Der neue „Ring des Nibelungen“ in Leipzig startet am 4.Mai mit „Rheingold“. Es dirigiert Ulf Schirmer. Regie: Rosamund Gilmore .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2013)

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