Putins Spiele heiligen die Mittel

Putins Spiele
Putins Spiele(c) REUTERS (POOL)
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Die Winterspiele in Sotschi sind das größte Prestigeprojekt des Kreml-Chefs. Die Vorbereitungen schluckten massenhaft Geld – das vor allem in die Taschen von Putins Freunden floss.

Auch wenn er am Ende eigenwillig rüberkommen mag: Um einen Scherz ist Kreml-Chef Wladimir Putin nie verlegen. So auch nicht vor einigen Tagen bei einem Besuch von Jacques Rogge, dem Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), in St. Petersburg. Um Putin den „einzigartigen Aufbau“ der Olympischen Fackel zu erklären, zerlegte Dmitrij Tschernyschenko, Organisationschef der Olympischen Winterspiele in Sotschi, das Leuchtobjekt in seine Bestandteile, demonstrierte das Innenleben der Gaskartusche und baute die Teile wieder zusammen. Zufrieden lächelte Putin und merkte lakonisch an: „Was immer in Russland gemacht wird, am Ende wird's eine Kalaschnikow.“

Gerade mit Blick auf Sotschi hätte es freilich auch eine Variante des Bonmots gegeben, die zwar weniger eigenwillig, dafür aber um einiges zutreffender gewesen wäre: „Was immer in Russland gemacht wird, am Ende wird's sauteuer.“ Das sagte nicht Putin. Das äußerte am Donnerstag dafür sinngemäß der ehemalige Vize-Regierungschef und liberale Oppositionelle Boris Nemzov. Der Politiker, der selbst aus Sotschi stammt, legte einen Bericht vor, der systematisch zusammenfasste, was im Laufe der Zeit an Informationssplittern aufgetaucht war. Nemzovs Resümee: Korrupte Praktiken hätten die Kosten der Spiele vervierfacht. Von den geschätzten 50 Milliarden US-Dollar Gesamtkosten seien 25 bis 30 Milliarden in dunkle Kanäle geflossen. Das Ringeschauspiel in Sotschi werde als bisher kostenintensivstes Olympia-Projekt in die Geschichte eingehen.

Nun, was andernorts politischer Sprengstoff wäre, lockt in Russland noch lange keinen Hund hinter dem Ofen hervor. Und selbst wenn die Kreml-Beamten Nemzovs Befund anzweifeln sollten, dann nicht im Grundlegenden, sondern im Prozentuellen des Korruptionsausmaßes.

Putin spielt Kosten herunter. Dennoch hat ein Wandel stattgefunden: Während die Verantwortlichen vor Jahren, als die Wirtschaft des Landes mit Traumwachstumsraten glänzte, mit dem Faktum der bisher teuersten Spiele noch finanzielle Potenz demonstrieren wollten, spielen sie mittlerweile – wohl unter dem Eindruck der vorjährigen Massenproteste – die Kosten herunter. Oder sie präsentieren sie so, dass der finanzielle Auswuchs erträglich erscheint.

So sagte Putin in seiner diesjährigen TV-Fragestunde im April, dass die Olympia-Vorbereitung 243 Milliarden Rubel (7,7 Mrd. Dollar) koste. Der Trick: Putin sprach nur von den Kosten für die Errichtung der Sportstätten, die 1,28 Billionen Rubel aber, die anlässlich der Spiele für die infrastrukturelle Aufrüstung Sotschis zum landesweit größten Erholungsparadies budgetiert sind, erwähnte er nicht. Das wäre freilich international üblich. So hat Athen die Austragung der Sommerspiele 15 Milliarden Dollar gekostet, Peking hingegen stolze 40 Milliarden Dollar.

Aufstrebende Schwellenländer sind nun mal keine Erbsenzähler. Schon gar nicht, wenn es um ein nationales Großereignis geht, mit dem man sich Ruhm in der Welt, Achtung bei den wenig erfolgsverwöhnten Wählern und Erinnerung bei nachfolgenden Generationen sichern kann. Kein zweites Projekt mit ähnlichem Imagepotenzial begleitet Putins Ära so sehr wie Sotschi. Für kein zweites Projekt hat er so viel Energie aufgewendet. Kein zweites Projekt könnte die Wiedererstarkung des Landes besser symbolisieren.

Wo 2007, als Russland den Zuschlag erhielt, noch Haushühner gackerten und Wildschweine vor Wölfen flüchteten, stehen heute Skihotels und brauchbare Straßen. Wo damals noch ein einsamer Holzsessellift Fortschritt simulierte, überwinden heute moderne Seilbahnen die gähnenden Schluchten des imposanten Kaukasus. Wo früher wenig Arbeit war, strömen heute karrierebewusste junge Leute hin, um tausende Vakanzen zu füllen.

Es wäre nicht Putins Russland, würde bei solchen Höhenflügen nicht auch abgezweigt, was nicht niet- und nagelfest ist. Nur selten stolpert einer darüber – so wie kürzlich der Chef der Entwicklungsgesellschaft KSK Achmed Bilalov, der Putins Zorn aber nur deshalb hervorrief, weil er mit dem Bau der Sprungschanzenanlage im Verzug war. Seither wird der 42-Jährige strafrechtlich verfolgt und ist nach Deutschland geflüchtet, wo Ärzte angeblich einen erhöhten Quecksilbergehalt in seinem Blut feststellten, der laut Bilalov von einem Vergiftungsanschlag in seinem Büro herrühre. Ob wahr oder nicht: Die Story passt gut zu jemandem, der politisches Asyl anstrebt. Bilalov befindet sich seit wenigen Tagen in England, das bekanntlich nicht nach Russland ausliefert.

Mitnaschen am Infrastruktur-Kuchen. Wer hingegen die Zeitpläne einhält und auch sonst hoch im Kurs steht, darf am Kuchen mitnaschen. Abgesehen vom Rohstoffsektor ist das heute in Russland nirgends ausgiebiger möglich als auf dem Sektor der Infrastruktur. Als notorischem Pferdefuß im Riesenreich sind dem Sektor die meisten Staatsgelder sicher.

Von einem „Jahrzehnt des großen Bauens“ hat Putin vor einiger Zeit gesprochen. Sotschi liefert dabei nur den Vorgeschmack davon, was sich künftig – etwa auch beim Aufbau der Infrastruktur für die Fußball-WM 2018 – abspielen wird. Nicht erst seit Nemzovs Bericht ist bekannt, dass auch in Sotschi jene am meisten zum Zug kamen, die mit Putin entweder in der berüchtigten Datschen-Kooperative bei Petersburg wohnten oder im Judoklub trainierten. So baut Datschen-Nachbar Wladimir Jakunin als Chef der Russischen Eisenbahnen die Auto- und Bahntrasse vom Badeort Sotschi hinauf zu den 70 Kilometer entfernten Liftanlagen im Kaukasusmassiv. Die Baukosten haben sich auf 266,4 Mrd. Rubel (8,5 Mrd. Dollar) verdreifacht.

Gleich gut ergeht es Putins Judo-Sparringpartner Arkadi Rotenberg, der vom Magazin „Forbes“ im Vorjahr als „König der Staatsaufträge“ identifiziert wurde. In Sotschi haben die Rotenbergs laut Nemzov Aufträge für 227 Mrd. Rubel (7,2 Mrd. Dollar) erhalten, was mehr sei, als die Winterspiele in Vancouver gekostet hätten.

Leute wie Rotenberg stechen sogar große Oligarchenfische wie den Multimilliardär Oleg Deripaska aus, indem sie ihn bei Ausschreibungen wohlgemerkt nicht unter- sondern überbieten. Konkret bei einem Straßenprojekt in Sotschi. Und konkret zum Nachteil der österreichischen Strabag, die mit ihrem Anteilseigner Deripaska einen Höhenflug in Russland erwartet hatte. Bislang ist er ausgeblieben, weshalb Strabag-Chef Hans-Peter Haselsteiner neulich auch seine Enttäuschung über Russland geäußert hat.

„Der frechste Skandal“. Hinsichtlich Sotschi ist die Stimmung jedenfalls unterschiedlich. Die Olympischen Spiele seien „der größte und frechste Skandal des Putin-Regimes“, meint Nemzov. Rogge sieht das anders: „Wir denken, dass die Olympischen Spiele fantastisch werden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2013)

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