Das Smartphone ist das neue Feuerzeug

Digicams und Handys haben Konzertästhetik und unsere Körperhaltung verändert.

Fotografieren war einmal eine körperliche Herausforderung. Weil man nicht nur eine schwere Spiegelreflexkamera um den Hals gehängt tragen musste – und allerlei Equipment wie Objektive, Filmrollen, womöglich auch noch ein Stativ in einer eigens vorgesehenen Fototasche. Und viele Profifotografen kämpfen auch heute noch mit ihrem Rücken. Die Zeiten, in denen Fotografieren mit Anstrengung verbunden waren, sind dennoch weitgehend vorbei. Was schon mit den ersten Kompaktkameras begann, die man bequem in der Jackentasche mit in den Urlaub nehmen konnte. Von den ersten Leicas bis zum Aufstieg der kleinen digitalen Kompaktkameras, der in den 1990ern einsetzte.

Schon die ersten kompakten Fotoapparate brachten eine Änderung der Körperhaltung mit sich: Vorbei waren die Zeiten, in denen man ein schweres Gerät vor die Augen heben – oder es gar auf ein Stativ stellen musste. Was gleich blieb, war der Popeye-Blick: Das eine Auge zugekniffen, das andere direkt vor dem Sucher positioniert. Und der Rücken blieb dabei doch ein wenig gekrümmt – weil viele Hobbyfotografen die Kamera aus unerfindlichen Gründen nicht ganz auf Augenhöhe brachten, sondern sich lieber ein bisschen nach vorn beugten.


Nur mehr eine Hand. Eine wirkliche Revolution der Körperhaltung brachten die digitalen Kompaktkameras mit ihren elektronischen Displays. Plötzlich war es nicht mehr nötig, mit einem Auge in den Sucher zu stieren. Und damit verbunden wurde auch die linke Hand in Rente geschickt. Den rechten Arm ein wenig angewinkelt wird die Kamera in Augenhöhe gebracht, der Zeigefinger löst aus, während der Blick auf den Sucher jenem eines Altersweitsichtigen ähnelt, der ein Blatt Papier mit dem ausgestreckten Arm möglichst weit von sich weg hält, um den Text darauf doch noch lesen zu können.

Nicht nur die Körperhaltung veränderte sich durch die kleinen Kameras mit den leuchtenden Displays, auch die Ästhetik von Massenveranstaltungen war fortan eine andere. Zwar dominierten auf Rockkonzerten noch die Feuerzeuge, sobald eine Ballade gespielt wurde, doch leuchtete zwischen den Flammen schon die eine oder andere Ixus oder Coolpix hervor. Apropos Konzert, die Körperhaltung beim Knipsen unterschied sich doch auch ein wenig – die rechte Hand in die Höhe gestreckt, den Kopf nach hinten geworfen, um auf das Display und damit über die Menschenmassen blicken zu können. Und: Digitalkameras brachten auch eine eigene Fotoästhetik mit sich. Zwei Menschen, die dem anderen den Arm über die Schulter legen, den Blick nach oben in die Kamera gerichtet (und ein Teil des Arms, der die Kamera hält, ist auf dem Bild zu sehen). Der „My-Space-Angle“ war geboren. Fotos aus diesem Blickwinkel prägten das Erscheinungsbild unzähliger Erinnerungsfotos (vor allem junger Menschen).


Fotos mit dem Handy. Die nächste Stufe der Evolution setzte schließlich ein, als Anfang der 2000er-Jahre die Handys mehr zu leisten begannen, als nur telefonieren und SMS schreiben – 2004 kam mit dem Sharp GX 30 das erste Handy mit einer 1-Megapixel-Kamera heraus. Dass das aktuelle Nokia WP8 PureView eine Auflösung von 41 Megapixel hat, erscheint vielen schon übertrieben – für den Alltagsgebrauch reichen heute schon die acht Megapixel, wie sie etwa das iPhone 5 hat. Für die Körperhaltung bedeutete das Aufkommen von Fotohandys zunächst noch nicht allzu viel – erst das Aufkommen von Smartphones brachte eine wirklich große Änderung mit sich. Die lässt sich allerdings weniger als Haltung, sondern eher als Bewegung vorstellen: Kaum hat der Daumen auf dem Handy den Auslöser betätigt, wandern Arm und Blick nach unten – und das Bild wird umgehend auf Facebook gestellt. In Sachen Ästhetik haben die Displays der Mobiltelefone bei Konzerten längst die Feuerzeuge abgelöst. Wer heute eine Großveranstaltung besucht, blickt in der Regel auf tausende leuchtende Handys. Für die Fotomotive bedeutete das Smartphone vor allem eines: Jedes (Nicht-)Ereignis ist jetzt fotografierwürdig. Von Füßen am Strand bis zum Essen (s. Seite 12). Im Jahr 2012 stammten übrigens erstmals mehr Digitalaufnahmen von Fotohandys als von Kameras.

Der nächste Schritt ist in Sachen Körperhaltung allerdings ein Rückschritt – Menschen, die ihr Tablet zum Fotografieren wie eine Monstranz in die Höhe heben, wirken nur bedingt leichtfüßig und elegant. Dafür ist es zumindest körperlich wieder eine Herausforderung. Und man braucht auch wieder eine zweite Hand dazu. Fast so wie früher mit den alten Kameras.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2013)

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