Das absurde Ende eines gescheiterten Krieges

Zwölf Jahre nach Beginn der Militärintervention in Afghanistan ist von den hehren Zielen des Westens nichts übrig. Für die Taliban ist der Weg frei zurück zur Macht.

Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich verbessert. Sagt Präsident Hamid Karzai, und der muss es ja schließlich wissen. Angesichts der Nachrichten vom Hindukusch klingt das freilich nach Realitätsverweigerung in fortgeschrittenem Stadium. „Heute geht die Sicherheitsverantwortung auf die afghanischen Truppen über“, sagte Karzai am Dienstag, und wer das als Drohung auffasst, liegt nicht ganz falsch. Wie schlecht die Kampfmoral selbst sogenannter afghanischer Elitetruppen ist, zeigte sich im Mai: So schnell konnten die Soldaten der Bundeswehr gar nicht schauen, hatten ihre einheimischen „Kameraden“ angesichts eines Taliban-Hinterhalts zielstrebig die Flucht ergriffen.

Freilich weiß Karzai in Wahrheit nur zu gut, wie es um die Sicherheitslage bestellt ist. Das zeigt eine weitere Aussage kurz nach der feierlich-stolzen Kommandoübergabe: Der Präsident startete eine neue Initiative für Friedensverhandlungen mit den Taliban. Das hat er schon früher versucht, doch bisher drehten ihm die Islamisten eine Nase. Sie brauchten nur zu warten, getreu dem Spruch: Der Westen hat die Uhren, wir haben die Zeit. Und die arbeitete gegen die zusehends kriegsmüden Länder, die sich am Afghanistan-Einsatz beteiligten.

Was war eigentlich dessen Ziel? Keine leichte Frage, denn die Ziele nahmen über die Jahre die Form einer Gaußkurve an: Erst lud man sich immer mehr auf, dann musste man es immer billiger geben. Am Anfang ging es schlicht darum, nach den Anschlägen vom 11. September 2001 die al-Qaida-Zentrale, die beim Taliban-Regime Herberge gefunden hatte, auszuschalten. Nicht einmal ein Sturz der Taliban war in der US-Regierung zunächst ausgemachte Sache. Und eine britische Ministerin plädierte damals dafür, die Militäraktion rasch zu einem „eleganten“ Ende zu bringen. Nun, mit rasch wurde es nichts, und was an einem Krieg elegant ist, gälte es noch zu klären.

Al-Qaida war immerhin rasch bedeutend geschwächt, das Taliban-Regime wurde dann doch gestürzt, und positive Ziele rückten in den Blickpunkt: der Wiederaufbau des Landes, das Transformieren einer archaischen Stammesgesellschaft in einen modernen Staat, mit Zivilgesellschaft, Rechtsstaat und Schulbildung für alle, vor allem auch für Mädchen. Mitunter gewann man den Eindruck, es handle sich um eine Art „bewaffnete Entwicklungshilfe“, wie es Deutschlands Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe ausdrückte. Noch 2008 stritt man in Berlin allen Ernstes, ob man den Einsatz am Hindukusch denn nun wirklich „Krieg“ nennen müsse. Man hätte nur die eigenen Soldaten fragen müssen.
Heute geht es nur noch darum, die Truppen ohne allzu großen Gesichtsverlust und ohne allzu großes militärisches Debakel rauszubekommen. In Deutschland wird der Einsatz von Fallschirmjägern zum Schutz des Abzugs erwogen. Munter rücken die Taliban wieder in Gebiete vor, die die westlichen Truppen verlassen. Und die lokale Bevölkerung hat wenig Spielraum, Loyalitäten wechseln in einem solchen Umfeld schnell. Vom Ziel, ein funktionierendes Staatswesen aufzubauen, hat sich der Westen schon lange verabschiedet, jetzt sieht es auch vom militärischen Standpunkt aus immer düsterer aus.

Nun wollen also sowohl Washington als auch Karzai offenbar dringend mit den Taliban ins Gespräch kommen. Schon Richard Holbrooke, 2009 bis zu seinem Tod 2010 Afghanistan-Beauftragter der USA, plädierte für Verhandlungen. Damals suchten die USA noch nach „gemäßigten“ Taliban. Die netten Gotteskrieger hat man leider nicht gefunden. Man muss schon mit den Taliban reden, die man vorfindet, nicht mit denen, die man sich wünscht.

Das Dilemma ist, dass man ein Abkommen mit den Radikalen braucht, um das Land zumindest an dieser Front zu befrieden – dabei aber mit einem Federstrich die ganzen hehren Ziele preisgibt, für die man lange zu kämpfen vorgab. Sollte es nun tatsächlich zu Verhandlungen mit den Taliban kommen, dann bleibt die Frage, ob man das nicht viel früher hätte haben können. Zu einer Zeit, als die eigene Verhandlungsposition eine der verhältnismäßigen (militärischen) Stärke war. Und nicht zu einer Zeit, in der die Stoppuhr auf Abzug gestellt ist. Denn dies ist eine Uhr, die auch die Taliban fest im Blick haben.

 

E-Mails an: helmar.dumbs@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2013)


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.