In Berlin beginnt das Ringen um ein Regierungsbündnis. Der Wahlsiegerin stehen harte Verhandlungen bevor: SPD und Grüne entziehen sich der Vereinnahmung durch eine erstarkte Union.
Berlin. Fast hätte Angela Merkels Union eine absolute Mehrheit der Mandate erreicht, aber eben nur fast. Also muss ein Koalitionspartner her. Da die Wähler die FDP aus dem Bundestag verbannt haben, bleiben nur bisherige Gegner: die SPD oder die Grünen. Die Union verhandelt aus einer Position der Stärke heraus. Wenn sie die Optionen geschickt gegeneinander ausspielt, kann sie den Preis drücken. Aber bei beiden möglichen Partnern signalisieren Basis und linke Parteiflügel massiven Widerwillen gegen ein Zusammengehen. SPD und FDP haben es am eigenen Leib erlebt: Wer von Merkels Truppe umarmt wird, der wird auch erdrückt – und am Ende vom Wähler abgestraft.
Deshalb müssten SPD und Grüne ihre Haut so teuer wie möglich verkaufen. Merkel gilt zwar als ideologisch biegsam, aber rote Linien bei Steuern, Eurohilfen oder Familienpolitik muss auch sie ziehen, um glaubwürdig zu bleiben. Die bayerische CSU meldet an, sie wolle bei ihr wichtigen Themen unnachgiebig bleiben. Deutschland steht vermutlich ein langer, steiniger Weg bevor, bis die neue Regierung steht. Was aber spricht für und gegen die beiden Varianten?
Die Große Koalition liegt näher, aber sie birgt Tücken
Eine Große Koalition gab es schon von 2005 bis 2009. Man kennt einander, die Zusammenarbeit verlief erstaunlich reibungsarm – jedenfalls besser als danach mit der FDP. Gemeinsam beschloss man die „Rente mit 67“ und den Kita-Ausbau, gemeinsam navigierte man geschickt durch die Stürme der Finanzkrise. Grund genug für die Deutschen, sich wieder eine Große Koalition zu wünschen – sie ist die beim Wähler beliebteste Regierungsform. Das gäbe ihr von Anfang an eine starke Legitimation. Wäre da nicht die SPD. Für sie ist die Zweckehe von damals das beste Argument, es besser nicht noch einmal zu versuchen. Die SPD verlor einst deutlich an Profil, viele Anhänger an „Linke“ und Nichtwähler sowie 2009 den Platz an der Macht.
Der Bundesrat als Druckmittel
Umso härter muss sie darum kämpfen, die Hauptversprechen aus ihrer Gerechtigkeitsagenda, einen gesetzlichen Mindestlohn und Reichensteuern, durchzuboxen. Im Lagerwahlkampf wurden leicht unterschiedliche Ansichten zu unüberbrückbaren Differenzen aufmunitioniert, nun fällt der SPD die ideelle Abrüstung schwer (Merkel vermutlich weniger). Leichter dürfte man bei Energiethemen, beim Datenschutz und bei der Euro-Politik zusammenkommen. Zwei Perspektiven sind auch für die Union wenig verlockend: Im Bundesrat ist die SPD stärker als die Union. Damit hat sie ein ständiges Druckmittel.
Zudem kursiert in Berlin die Spekulation, die SPD könnte etwa zur Halbzeit abspringen und sich den „Linken“ in die Arme werfen – oder zumindest laufend damit drohen.
Erste CDU-Vorboten stellen die Signale auf Schwarz-Grün
In der Wahlnacht richteten sich die ersten noch verhaltenen Avancen an die Grünen. „Warum nicht?“, lautete die Devise der CDU-Vizechefin Julia Klöckner zur möglichen Kooperation mit der Ökopartei. Umweltminister Peter Altmaier wollte seinem persönlichen Wunschkoalitionspartner noch ein wenig Zeit zugestehen, um über seinen Schatten zu springen.
Das Mitglied der legendären Bonner „Pizza Connection“, eines schwarz-grünen Gesprächszirkels, würde bei einer solchen Konstellation wohl seinen Job verlieren. Nach dem Atomausstieg ist eine große Hürde für eine Zusammenarbeit gefallen, und die Grünen würden wohl auf ein Energie- und Umweltministerium pochen.
Vor einem Generationenwechsel
Nach ihren Umfragehöhenflügen vor zwei Jahren gilt es für Trittin, Roth und Co., die Wahlschlappe zu verdauen. Danach könnte ein Generationenwechsel an der Spitze folgen: Eher bürgerlich geprägte Grüne wie Katrin Göring-Eckhardt oder Cem Özdemir könnten die alte linke Garde ablösen.
Bei den Grünen wollte sich niemand auf Koalitionsspekulationen einlassen. Ex-Spitzenkandidatin Renate Künast erklärte schnoddrig, ihr fehle die Fantasie, sich eine Koalition mit der Union vorzustellen. In der Union sperrt sich vor allem die CSU gegen grünes Licht für Schwarz-Grün, in München stehen die Signale auf Rot. Dass die Grünen aber plötzlich im Spiel um die Macht in Berlin sind, hat die SPD noch am Wahlabend klargemacht. Die Sozialdemokraten lassen den Grünen nur zu gern den Vortritt.
Welche Koalition wird es werden?
DiePresse.com analysiert, welche Punkte für bzw. gegen die beiden derzeit wahrscheinlichsten Koalitionsvarianten sprechen.
Was spricht für Schwarz-Rot?
Was spricht für Schwarz-Grün?
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2013)