SPD-Chef Gabriel geht aufs Ganze

SPD-Chef Gabriel
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Die SPD-Führung will ihre Basis befragen, ob sie eine Große Koalition billigt. Das ist ein gewagter Schritt: Bei einem Nein muss die Parteispitze gehen.

Nur wenige möchten zurzeit in der Haut von Sigmar Gabriel stecken. Der SPD-Chef steht vor seiner bisher schwersten Herausforderung. Er soll aus einer schwachen Position heraus mit Kanzlerin Angela Merkels siegreicher Union eine Große Koalition verhandeln.

Zugleich muss er die eigene Basis auf seine Seite bringen. Sie ist enttäuscht von den schwachen Zuwächsen und sträubt sich vehement gegen eine Zwangsehe mit der CDU/CSU. Die erste Hürde beim Trösten und Überreden musste Gabriel Freitagabend auf einem Parteikonvent nehmen, einer Art kleinem Parteitag mit 200 Delegierten hinter verschlossenen Türen.

Schon tagsüber sickerte durch, dass Gabriel die Flucht nach vorne antritt: Er will eine Befragung aller 470.000 Mitglieder. Sie sollen auf Basis eines fertig ausverhandelten Koalitionsvertrags entscheiden. Damit ist auch der Fahrplan vorgegeben: Erst sondieren, dann entscheidet wieder ein Konvent, ob man in konkrete Verhandlungen geht. Ist fertig verhandelt, werden die Mitglieder befragt; vor dem Parteitag in Leipzig am 14. November soll ein Ergebnis vorliegen.

Krafts doppeltes Spiel

Gabriel geht ein hohes Risiko ein. Das Herz der Basis schlägt viel weiter links als das der Führung, der Abgeordneten oder auch der Delegierten am Parteitag. In den Ortsvereinen heißt es: Lieber in Opposition bleiben als Kompromisse schließen und wieder Anhänger zur „Linken" treiben. Lehnt die Basis das Verhandlungsergebnis ab, ist das ein klares Misstrauensvotum gegen die Unterhändler - allen voran Gabriel selbst. Die Parteispitze wäre wohl nicht mehr zu halten.

Ein doppeltes Spiel spielt dort Hannelore Kraft. Die einflussreiche Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen hat über ihre Fraktion in Düsseldorf massiv Stimmung gegen eine Große Koalition gemacht. Andererseits ist sie als Vizevorsitzende der Partei im Verhandlungsteam. Ein Nein wäre also auch für sie eine Niederlage.

Wer hoch pokert, kann auch hoch gewinnen. Gabriel wird in den Verhandlungen Druck machen, nach dem Motto: Ihr bietet zu wenig, ich muss das Ergebnis ja meinen Mitgliedern verkaufen. Auch ihnen gegenüber hat der Parteichef ein starkes Argument: Schwarz-Grün ist wenig realistisch. Damit blieben als Alternativen nur vorgezogene Wahlen oder Rot-Rot-Grün. Beides wäre für die Sozialdemokraten fatal. Bei Ersterem würden die Wähler sie dafür abstrafen, dass sie die bei weitem beliebteste Koalitionsvariante verhindert haben. Rot-Rot-Grün, im Wahlkampf kategorisch ausgeschlossen, wäre ein Vertrauensbruch, den Wähler aus der Mitte nicht verzeihen würden.

Steuern: Union rudert zurück

Wie schnell Vertrauen verspielt sein kann, zeigt sich in der CDU/CSU. Am Mittwoch hatte Finanzminister Schäuble angedeutet, man könne mit der Opposition über höhere Steuern reden. Am Donnerstag wusste die „Bild" zu berichten, CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe bereite seine Partei auf eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes vor - ein zentrales Wahlversprechen der SPD.

Der Aufschrei folgte prompt. Der Wirtschaftsflügel, der sich ohne FDP als letzte Vertretung der Unternehmen im Bundestag sieht, empörte sich über das „parteischädigende" Verhalten. Auch die Glaubwürdigkeit der großen Siegerin ist in Gefahr: Merkel hatte in jeder Wahlkampfrede versprochen, mit ihr werde es keine Steuererhöhungen geben. Zwar ruderte Gröhe halbherzig zurück, aber der Vorwurf des „Wortbruchs" und der „Wahlüge" stand schon im Raum.

Eine schwere Panne in der Kommunikation? Oder bewusste Taktik? Denn die eilige Kompromissbereitschaft einer Union, die über ihren Schatten springt, macht es der Opposition noch schwerer, Gespräche zu verweigern.

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