Wer den Sozialstaat in Europa unbedingt zerstören will, wird dies mittels einer Öffnung der Grenzen zwischen der EU und Afrika rasch erreichen können.
Gleich nachdem vor der italienischen Insel Lampedusa etwa 300 afrikanische Migranten ertrunken waren, soffen in manchen linksliberalen Medien des deutschen Sprachraumes erwartungsgemäß auf der Stelle Vernunft und Logik ab wie Steine in tiefen Gewässern. Die Schuldigen für die Tragödie waren nämlich flugs ausgemacht: wir Europäer natürlich – und nicht etwa die grottenschlechten Regierungen (samt deren Anhang in der Bevölkerung) der afrikanischen Elendszonen.
„Die Flüchtlinge sind die Botschafter des Hungers, der Verfolgung, des Leids. Doch Europa mag diese Botschafter nicht aufnehmen und nicht empfangen,“ sprach salbungsvoll Heribert Prantl in der „Süddeutschen“ sein mediales Schnellgerichtsurteil. Der Wiener „Standard“ erörterte die notwendige Konsequenz daraus: „Europa, vom Politiker bis hin zum Bürger, muss wieder lernen, sich zu öffnen.“ Das ist ein bemerkenswerter Vorschlag, der genauere Erörterung verdient. Denn soll dieses „Öffnen“ nicht eine sinnleere Floskel zur milieubedingten Erbauung sein, kann es auf Deutsch ja wohl nur bedeuten, Afrikanern die Migration nach Europa zu erlauben. Der Satz, wonach sich Europa öffnen müsse, kann nicht viel anders gelesen werden, als dass es seine Grenzen öffnen soll. Was denn sonst?
Dies wiederum hätte ganz interessante Implikationen für Europa. Natürlich kann kein Mensch vorhersagen, wie viele junge Afrikaner sich auf den Weg in den reichen Norden machen würden, wäre dies auf legalem und nicht gesundheitsbedrohlichem Wege zu überschaubaren Kosten möglich. Nimmt man jedoch die großen armutsgetriebenen Fluchtbewegungen des vergangenen Jahrhunderts als Anhaltspunkt, wären auf längere Sicht 50 bis 100 Millionen afrikanischer Migranten, die in Europa ein besseres Leben suchten, keine allzu große Überraschung– angesichts von derzeit mehr als einer Milliarde in Afrika lebender Menschen.
Man kann das, wenn man die Forderung, Europa müsse sich öffnen, ernsthaft vertritt, natürlich für richtig halten. Man muss dann allerdings aus Gründen der intellektuellen Redlichkeit dazusagen, welche Folgen eine derartige Öffnung Europas hätte. Verteilten sich diese Migranten halbwegs gleichmäßig über den Kontinent mit seinen 500 Millionen Einwohnern, dürfte Österreich diesfalls mit einem Zuzug von 800.000 bis 1,6 Millionen Schwarzafrikanern rechnen, Deutschland mit acht bis 16 Millionen Menschen, die weder kulturell noch mit ihrer Ausbildung sonderlich kompatibel mit den hiesigen Lebensumständen sind.
Man kann sich leicht ausmalen, was eine derartige Öffnung Europas bedeutete: einen sofortigen Kollaps des Sozialstaates, gefolgt von schweren Unruhen zwischen den Alteingesessenen und afrikanischen Zuwanderern. Nicht multikulturelle Bereicherung, sondern Hass und gegenseitige Abneigung wären die unschwer absehbare Folge einer derartigen Massenmigration von Süd nach Nord. Verglichen mit den Politikern, die dann in Europa vermutlich an die Macht kämen, wirkte Herr Strache wie ein lang gedienter Integrationsbeauftragter der sozialromantischen Schule.
Nur der Vollständigkeit halber muss auch davon ausgegangen werden, dass eine derartige Öffnung auf demokratischem Wege in Europa mit großer Wahrscheinlichkeit nicht machbar wäre. Wer Europa derart nach Afrika hin öffnen will, wird das nur unter Umgehung der Demokratie bewerkstelligen können (was Gläubige im Besitz der moralischen Überlegenheit freilich selten stört).
Das ist kein wirklich wünschenswerter Weg. Wünschenswert wäre freilich, an der Staatsgrenze Süd der EU flott dafür zu sorgen, dass jeder Schiffbrüchige binnen kürzester Zeit aus dem Meer gefischt wird. Das bedeutet schnelle und massive Investitionen in entsprechende Kapazitäten an Schiffen, Hubschraubern, Überwachungsgeräten und die notwendigen Besatzungen. Europa braucht keine offenen Grenzen, sehr wohl aber Grenzen, an denen niemand mehr zu Schaden kommt.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2013)