Jedes Jahr 60 Tage länger arbeiten

IHS-Chef Christian Keuschnigg
IHS-Chef Christian Keuschnigg(c) Die Presse (Fabry)
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Österreicher müssen pro Jahr zwei Monate länger arbeiten, fordert IHS-Chef Christian Keuschnigg. Rezepte für finanzierbare Pensionen gibt es längst. Das hieße aber arbeiten bis 72, sagt das Sozialministerium.

Wien. Die erste Runde der Koalitionsverhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP ist eingeläutet. Ergebnisse wird es so rasch nicht geben. Dafür viel Grund zu Diskussionen. Vor allem um ein Thema werden die Politiker nicht herumkommen: die Pensionen. Denn das System steht vor dem Kollaps: Zehn Milliarden Euro mussten die Steuerzahler im Vorjahr zuschießen, damit die Pensionen ausbezahlt werden konnten. 3,9 Milliarden davon für ASVG-Pensionen. Das sind 30 Prozent mehr als noch vor drei Jahren. Schon 2016 wird jeder vierte Steuer-Euro in das Pensionssystem fließen, warnt der Rechnungshof.

Die Rezepte der Regierung muten eher zaghaft an. Jene der meisten Experten hingegen radikal: weg mit fast allen staatlichen Zuschüssen, Pensionisten sollen nur noch das erhalten, was sie eingezahlt haben. Laut Sozialministerium hieße das aber: Um dieselbe Pension zu bekommen, müssten Österreicher arbeiten, bis sie 72 Jahre alt sind.

In Pension mit 58,4 Jahren

Doch um gewisse Reformen wird die Koalition nicht herumkommen. Denn das österreichische Pensionssystem, das in den 1950er-Jahren entwickelt wurde, ist heute nicht mehr zeitgemäß. Die Menschen leben länger und arbeiten kürzer. Statt 15 Jahre wie in den 1970er-Jahren sind die Österreicher heute mehr als 20 Jahre im Ruhestand. Auch 35 Reformen in den vergangenen 20 Jahren haben es nicht geschafft, das System tragfähig zu machen. „Es geht alles viel zu langsam“, kritisiert IHS-Chef Christian Keuschnigg im Gespräch mit der „Presse“. Man könne „natürlich nachdenken, ob 80 Prozent Nettoersatzrate nicht zu hoch sind.“ Und: „Wir müssten eigentlich jedes Jahr zwei Monate länger arbeiten“, fordert er. Und zwar länger als bis zum gesetzlichen Pensionsantrittsalter von 65, wohlgemerkt.


Die Realität in Österreich sieht freilich anders aus: Bis 65 arbeiten die wenigsten. Im Schnitt gingen die Österreicher im Vorjahr mit 58,4 Jahren in Pension, so der jüngste Fortschrittsbericht der Pensionskommission. Das für 2012 angepeilte Antrittsalter von 59 Jahren wurde damit um mehr als sechs Monate verpasst. Österreich schafft es mit seinen derzeitigen Reformen nicht einmal, die Menschen jedes Jahr einen Monat länger im Job zu halten. 2005 ging man in Österreich mit 58,1 Jahren in den Ruhestand.
Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) betrachtet das Problem dennoch als gelöst. Der Stabilitätspakt aus dem Vorjahr habe es geschafft, die Staatszuschüsse etwa auf dem Status quo einzufrieren. Die meisten Maßnahmen wie schärfere Zugangsregeln für die Korridorfrühpension und die Hacklerpension würden erst ab 2014 richtig greifen.

Antrittsalter steigt in halb Europa

Experten bezweifeln allerdings, ob der bisherige Kurs der rot-schwarzen Regierung ausreicht. Um die unheilvolle Dynamik zu stoppen, bräuchte es radikalere Modelle.
Etwa solche, wie sie in halb Europa derzeit umgesetzt werden: Deutschland hat das Pensionsantrittsalter auf 67 angehoben, auch die Finnen sollen zwei Jahre länger arbeiten. Spanien koppelt die Pensionen an die Lebenserwartung, und selbst Frankreich hebt das Antrittsalter durch die Hintertür an.

Für Österreich hat deshalb eine Expertengruppe ein Reformmodell vorgelegt: Um das Pensionssystem vom staatlichen Steuertropf nehmen zu können, schlagen sie ein „Beitragskonto auf Umlagebasis“ vor. Nach schwedischem Vorbild würden Pensionisten nur noch ausbezahlt bekommen, was sie eingezahlt haben (plus Zinsen Staatliche Zuschüsse fielen weitgehend weg. Bei Pensionsantritt würde das angesammelte Geld auf die verbliebene erwartete Lebenszeit aufgeteilt. Wer ohne Verlust in Pension gehen will, müsste dann sieben Jahre länger arbeiten, als heute gesetzlich vorgeschrieben ist, hat das Sozialministerium berechnet.

("Die Presse" Printausgabe vom 23.10.2013)

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