IHS Chef: "Nachdenken, ob 80 Prozent Pension nicht zu hoch sind"

Christian Keuschnigg
Christian Keuschnigg(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Das österreichische Pensionssystem enthält eine versteckte Umverteilung, kritisiert IHS-Chef Keuschnigg.

Die Presse: Wann sollen wir in Pension gehen? Mit 72, wie es das Sozialministerium vorrechnet?

Christian Keuschnigg: Die Berechnung des Sozialministeriums war schockierend und wurde natürlich gemacht, um den Vorschlag der beitragsorientierten Pensionsreform zu diskreditieren. Das bezieht sich ja auf 2050. Es bleibt also genügend Zeit, um in kleinen Schritten später in Pension zu gehen. Und zudem beruht diese Berechnung auf der Annahme, dass man den ganzen Pensionszuschuss auf einen Schlag eliminiert. Also das Sozialministerium vergleicht das derzeitige System mit einem System ohne Bundeszuschuss. Das ist nicht vergleichbar.

Deshalb sprechen Sie von Diskreditierung.

Alle Umlagesysteme haben denselben Anpassungsbedarf. Ich meine, dass diese Berechnung letztlich nur ein wenig drastischer aufzeigt, wie groß das Problem im derzeitigen System ist.

Laut Rechnungshof wird 2016 jeder vierte Steuer-Euro als Bundeszuschuss ins Pensionssystem fließen.

Genau.

Soll der Zuschuss wegfallen?

Nein, ich mag natürlich nicht, dass man so einfach Sozialleistungen streicht. Aber man sollte den Bürgern vermitteln, dass ihre Pension nur aus einem Teil aus den Beiträgen finanziert werden kann. Und der Rest ist eine Unterstützung durch die Allgemeinheit. Jeder sollte wissen, dass die Pension kein Geschenk des Staates ist.

Aber kein Pensionist spricht von einem Staatsgeschenk. Es ist doch einhellige Meinung, dass man sich diese ohnehin durch lebenslanges Schuften selbst verdient hat.

Das Problem ist aber, dass unser Pensionssystem eine versteckte Umverteilung enthält. Es ist derzeit nicht klar, wie viel sich jeder an Pensionsansprüchen selbst erworben hat und mit wie viel man vom Staat subventioniert wird. Es gibt auch im Erwerbsleben viel Umverteilung mit progressiven Steuersätzen und Leistungen für untere Einkommensklassen. Im Pensionssystem wird aber Leistung und Gegenleistung mit Umverteilung vermischt. Da läuft das viel intransparenter.

Wie hoch wären die Pensionen im Schnitt ohne staatliche Subvention?

Heute wären die selbst verdienten Pensionen bis zu einem Viertel niedriger, der Rest ist Zuschuss.

Laut Pensionskommission schaffen wir es derzeit, das Pensionsantrittsalter pro Jahr gerade einmal um einen Monat zu erhöhen. Wenn wir so weitermachen, sind wir 2050 erst knapp über 60.

Das Tempo ist natürlich viel zu langsam.

Wie geht es schneller?

Im Prinzip gibt es drei Antworten. Erstens: Wir zahlen höhere Beiträge und Steuern. Das will ich nicht, weil die Steuerbelastung schon sehr hoch ist. Zweitens: Die Pensionen kürzen. Dann müssten die Menschen selbst vorsorgen. Das widerspricht dem ursprünglichen Sinn des Pensionssystems. Es wurde schließlich geschaffen, um Altersarmut zu verhindern. Man kann natürlich nachdenken, ob 80 Prozent Nettoersatzrate nicht ein wenig zu hoch sind. Letztlich bleibt aber nur der Anstieg des Ruhestandsalters. Da gibt es eine einfache und transparente Formel: Früher haben wir zwei Drittel unseres Erwachsenenlebens mit Arbeit verbracht. Und das sollte so bleiben. Heute steigt aber die Lebenserwartung jedes Jahr um drei Monate. Also müssen wir pro Jahr um zwei Monate länger arbeiten und können ein Monat länger in Pension bleiben.

Landen wir dann doch beim Antrittsalter von 72 Jahren?

Nein, es gäbe keinen fixen Endpunkt mehr. Das gesetzliche Ruhestandsalter müsste an die Lebenserwartung indexiert werden, damit es gemeinsam mit der Lebenserwartung steigt. Das heißt nicht, dass alle bis 72 arbeiten müssen. Aber wer früher aufhören will, muss eben Abschläge in Kauf nehmen. Dafür gibt es umgekehrt Zuschläge, wenn man länger arbeitet als gesetzlich notwendig.

Dann kommt normalerweise das Argument: Aber wer gibt den Menschen bis 65 Arbeit?

Da muss man einmal festhalten, dass wir in Österreich früher viel länger gearbeitet haben als heutzutage. Es ist mir nicht bekannt, dass es vor 20 Jahren eine grassierende Altersarbeitslosigkeit gegeben hat. Auch bei Ländern wie der Schweiz oder Schweden ist mir nichts von einer Altersarbeitslosigkeit bekannt, obwohl dort die Menschen um einiges länger arbeiten als bei uns. Die gehen mit 64 oder 65 in Pension.

Das nächste Killerargument lautet meist: Die Älteren nehmen den Jungen die Arbeitsplätze weg.

Das Gegenteil ist richtig. Je kürzer die Alten arbeiten, umso höher ist die Lohnsteuerbelastung und umso schwieriger entstehen neue Jobs. Es gibt in der Volkswirtschaftslehre keinen Grund, der gegen eine längere Arbeitszeit angeführt werden kann. Natürlich muss man die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer begleiten. Heute investieren Betriebe weniger in Ältere, weil diese ohnehin so schnell wie möglich in Pension gehen. Wenn das Signal für längere Arbeitszeit gegeben wird, würden auch die Investitionen anspringen.

ZUR PERSON

Christian Keuschnigg (53) ist seit dem Jahr 2001 Professor für Nationalökonomie und öffentliche Finanzen an der Universität St. Gallen. Seit fast eineinhalb Jahren ist der gebürtige Tiroler Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS) in Wien.

Am morgigen Donnerstag lädt das IHS zu den „Wirtschaftspolitischen Gesprächen“ zum Thema „5 vor 12 im Pensionssystem“. Zu Gast ist unter anderem der deutsche Ökonom Bert Rürup.

Ort: Palais Niederösterreich, Rittersaal, Herrengasse 13, 1010 Wien

Zeit: Donnerstag 24. Oktober 2013, 10–12 Uhr

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2013)

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