Alle wollen Flexizeit: Überstunden sind das Konfliktpotential

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Ab Dienstag wollen die Metaller unbefristet streiken. Die Gewerkschaft hat im Frühjahr ein Zeitkontomodell vorgelegt, es liegt auf Eis.

Wien. Die Nervosität ist hoch – auf beiden Seiten. Den ab Dienstag geplanten unbefristeten Streik der Metaller, der am Mittwoch beschlossen und am Donnerstag vom Präsidium des ÖGB genehmigt worden ist, wollen eigentlich weder die Gewerkschaft und schon gar nicht die Arbeitgeber. Aber die Gespräche in der Kollektivlohnrunde des Fachverbands Maschinen und Metallwarenindustrie (FMMI) sind nach vier Runden ergebnislos ins Leere gelaufen. Gestritten wird nicht nur um die Höhe der Lohn- und Gehaltssteigerung, sondern vor allem um das Thema, das Österreichs gesamte Industrie seit Jahren beschäftigt: Arbeitszeitflexibilisierung.

Mehr arbeiten, wenn die Auftragsbücher voll sind, und zurückschalten, wenn das Geschäft eher flau ist: Das sei das Gebot der Stunde, sagen die Arbeitgeber. Und die Gewerkschaft? Die stemmt sich im Gegensatz zu früher gar nicht mehr so sehr dagegen. Schon im Mai hat sie dazu einen Vorschlag vorgelegt. Was ist dann das Problem? Während die Arbeitgeber für die Mehrarbeit innerhalb des – auf Betriebsebene festzulegenden – Durchrechnungszeitraums keine Überstundenzuschläge zahlen wollen, pocht die Gewerkschaft darauf.

Zeitkonto seit 1997

Eigentlich gibt es in der Metallindustrie schon seit 1997 eine Flexibilisierung, sagt Peter Schleinbach, KV-Experte der Gewerkschaft Pro-Ge, zur „Presse“. Diese „erweiterte Bandbreite“ sieht vor, dass die Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden binnen eines Jahres zwischen 32 und 45 Stunden (dann allerdings mit Zuschlägen von 50Prozent ab der 40. Stunde) schwanken kann. Das Zeitkonto, das 80 bis 120 Überstunden aufweisen kann, wird zu Jahresende abgerechnet: Hat ein Beschäftigter weniger gearbeitet, passiert gar nichts. Bei einem Plus wird ihm dieses finanziell abgegolten. 40 Stunden dürfen ins nächste Jahr mitgenommen werden.

Nachdem bei der KV-Runde im Vorjahr das Thema Arbeitszeitflexibilisierung ausgeklammert worden ist, haben die für die Metaller zuständigen Teilgewerkschaften Pro-Ge (Arbeiter) und GPA-djp (Angestellte) im Mai dieses Jahres einen Vorschlag auf den Tisch gelegt. Sozusagen als Diskussionsgrundlage, rechtzeitig für die im Herbst startende Lohnrunde.

Zwei Jahre „ansparen“

Demnach sollen mehr Überstunden länger aufgehoben werden können: Das Zeitkonto darf innerhalb von zwei Jahren mit maximal 334 Überstunden gefüllt werden. Davon dürfen 167,4 Stunden auf die nächsten zwei Jahre vorgetragen werden. Der Rest wird abgegolten. Nach vier Jahren wird ein großer Kassasturz gemacht: Dann geht das Radl von vorne los – 77 Stunden dürfen mitgenommen werden.

Der FMMI will indes ein Zeitkonto von 167,4 Stunden, der Durchrechnungszeitraum, in dem dieser Polster abgebaut wird, soll auf Betriebsebene fixiert werden. Und: Die Arbeitgeber wollen keine Zuschläge zahlen, wenn mehr als 38,5 Stunden pro Woche gearbeitet wird. ÖGB-Präsident Erich Foglar bezeichnete dies als „Etikettenschwindel“. Gewerkschaften wollten keine Einkommenskürzungen, sagte er im Ö1-„Morgenjournal“.

Trotz der Differenzen wäre ein Kompromiss doch möglich gewesen? Nein, sagen beide Seiten und schieben sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Die Arbeitgeber beharren darauf, dass für die sechs Metallersparten (Maschinen/Metall, Bergbau-Stahl, Fahrzeuge, Gießerei, Nichteisenmetall und Gas- und Wärmeversorger) auch das Fleximodell getrennt verhandelt werde. Die Gewerkschaft wiederum pocht auf eine gemeinsamen Lösung.

Zudem junktimieren die Arbeitnehmer das Fleximodell mit einem zusätzlichen Zeitausgleich für besonders schwer arbeitende oder belastete Beschäftigte. Das sind etwa Nachtarbeiter. Pro Arbeitsstunde soll es eine Zeitgutschrift von sechs Prozent (3,6 Minuten) geben.

Streik schadet Volkswirtschaft

Noch haben die Sozialpartner bis Montag vier Tage Zeit, um doch eine Lösung zu finden. Foglar rief jedenfalls beide Seiten auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Die Gewerkschaft sei rund um die Uhr bereit, auch am Wochenende, sagte er.

Experten sind einig, dass ein Streik wirtschaftlichen Schaden verursache. Wirtschaftsforscher Marcus Scheiblecker rechnete im ORF-„Mittagsjournal“ vor, dass ein Verlust an Wertschöpfung von fünf Mio. Euro pro Tag entstehe. Falls der Streik länger als eine Woche dauere, werde es gefährlich. Kunden würden verärgert, wenn sie keine Waren erhielten.

Wochenlange Streiks könnten Auswirkungen auf die gesamte Volkswirtschaft haben, weil im schlimmsten Fall auch Lieferanten in anderen Branchen sowie Löhne und Gehälter nicht bezahlt werden können und Investitionen nicht getätigt werden, sagte Wirtschaftsforscher Ulrich Schuh vom Institut Eco Austria. Der Volkswirtschaft würden 42Mio. Euro an Wertschöpfung pro Streiktag entgehen.

AUF EINEN BLICK

Die 120.000 Beschäftigten des Fachverbands Maschinen- und Metallwarenindustrie wollen ab Dienstag streiken. Die Arbeitgeber wollen Zeitflexibilisierung ohne Überstundenzuschläge. Die Gewerkschaft hat im Frühjahr ein Modell vorgelegt – mit Zuschlägen.

Die Wirtschaftsforscher sehen einen großen Schaden durch einen Streik. Bis zu fünf Mio. Euro pro Tag könnten an Wertschöpfung entgehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2013)

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