Eklat

Wie Martin Selmayr seinen „Blutgeld“-Sager begründet

Archivbild: Martin Selmayr, Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich, bei einem „Presse“-Interview 2019.
Archivbild: Martin Selmayr, Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich, bei einem „Presse“-Interview 2019.Clemens Fabry
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Der Vertreter der EU-Kommission, Martin Selmayr, erläuterte im „Presse“-Gespräch seine drastische Kritik an Österreichs Bezug von russischem Erdgas.

Viel öffentliche Aufmerksamkeit war nicht zu erwarten. Martin Selmayr nahm am Mittwochabend im Hotel Almanac am Wiener Parkring an einer Diskussionsveranstaltung der Kunstmesse Viennacontemporary teil. Mit ihm saßen Veronica Anghel (Dozentin der Johns Hopkins School), Kristof Bender (Vize-Chef der Europäischen Stabilitätsinitiative) und die ukrainische Schriftstellerin Kateryna Mishchenko auf dem Podium. Ivan Vejvoda vom Institut für die Wissenschaft vom Menschen moderierte. Die Debatte verfolgten vielleicht 50 Menschen. „Inklusives Europa“ lautete das Thema. Es ging um die EU-Erweiterung, insbesondere um die Ukraine.

Ein Tonband lief mit

Nach rund 80 Minuten ermöglichte der Moderator Fragen aus dem Publikum. Offenbar wusste Selmayr nicht, dass ein Journalist anwesend war. Ein Mitarbeiter der Nachrichtenagentur APA ließ ein Tonband mitlaufen. Und Selmayr nahm sich kein Blatt vor den Mund.

In einer ausführlichen Replik bezeichnete der deutsche EU-Beamte die milliardenschweren Zahlungen Österreichs für russisches Erdgas als „Blutgeld“. Immer noch beziehe Österreich 55 Prozent seines Erdgases aus Russland und finanziere damit den Krieg gegen die Ukraine, sagte er. Es sei verwunderlich, dass niemand dagegen auf der Wiener Ringstraße demonstriere.

Am nächsten Tag schlug die APA-Meldung hohe Wellen. Die FPÖ forderte die Abberufung des EU-Botschafters. Außenminister Alexander Schallenberg ließ ihn ins Außenamt zitieren. Europaministerin Karoline Edtstadler bezeichnete die Äußerungen Selmayrs als „völlig einseitig“ und unseriös. Sogar die EU-Kommission distanzierte sich von den „unangemessenen Aussagen“ ihres Repräsentanten in Wien.

Angriff auf von der Leyen?

„Die Presse“ erreichte Selmayr noch am Donnerstagabend. Im Gespräch erläuterte der Jurist den Kontext. Ein Teilnehmer der Veranstaltung habe eine lange Rede darüber gehalten, dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen „Blut an ihren Händen habe“, weil sie Partei für die Ukraine ergriffen habe und dies nur den Krieg verlängere. Die EU solle mit Putin verhandeln. Und dann habe der Mann aus dem Publikum dazu aufgerufen, auf der Straße gegen die „kriegstreiberische EU“ zu protestieren, behauptete Selmayr. Dies habe er als Vertreter der EU-Kommission nicht stehen lassen können und auf das Faktum verwiesen, dass Österreich trotz aller Bemühungen zur Reduktion seiner Energie-Abhängigkeit nach wie vor mehr als die Hälfte seines Erdgases aus Russland beziehe und damit Putins verbrecherischen Krieg gegen die Ukraine finanziere. Dagegen sollte auf der Ringstraße demonstriert werden und nicht gegen die EU.

Im Transkript steht etwas anderes

Diese Darstellung übermittelte Selmayr auch nach Brüssel. Der bei der Diskussion anwesende Journalist kann freilich nicht bestätigen, dass der Besucher der Veranstaltung derart aggressiv gefragt habe. Das Wort „Blut“ habe nur Selmayr in den Mund genommen, und auch von der Leyen sei nicht direkt angegriffen worden. An einen Aufruf zu Protesten gegen die EU könne er sich auch nicht erinnern. Aus dem Transkript, das der APA-Mitarbeiter der „Presse“ übermittelte, geht im Zuge einer gewundenen Wortmeldung lediglich folgende Anmerkung des Mannes aus dem Publikum hervor: Die politische Rhetorik Wladimir Putins sei zumindest vor der Präsidentschaft Medwedjews (2008 bis 2012) anders gewesen, die EU habe ihm jedoch die kalte Schulter gezeigt und dies sei Teil des heutigen Problems.

Montag oder Dienstag im Außenamt

Selmayr verstand und hörte die Bemerkung offenbar anders. Und inhaltlich bleibt er bei allem Verständnis für Österreichs energiepolitische Schwierigkeiten dabei: Wer russisches Gas bezieht, füllt Putins Kriegskasse. Am Montag oder Dienstag wird Selmayr seine Sicht der Dinge im Außenministerium bei einem Gespräch mit dem neuen Generalsekretär, Nikolaus Marschik, darlegen. Am Donnerstag und Freitag war er in Deutschland unterwegs.

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