„Niemand muss Planetenumlaufbahnen selbst berechnen“

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Es werde die geisteswissenschaftliche Dimension vernachlässigt, Fehler stünden im Fokus, sagt Rudolf Taschner.

Die Presse: Die österreichischen Schüler schneiden in Mathematik gar nicht so schlecht ab – sie gehören aber zu jenen, die Mathematik am wenigsten mögen. Was läuft da falsch?

Rudolf Taschner: Womöglich betrifft das ja nicht nur die Mathematik, sondern auch andere Fächer. Aber natürlich: Bei manchen Lehrern spielen Kreativität und Fantasie im Mathematikunterricht überhaupt keine Rolle, sondern nur strenge Genauigkeit und Fehlerintoleranz. Das ist zu wenig. Und da kommt keine Freude auf.

Wie kann man den Schülern die Angst vor Mathematik nehmen?

Die Angst entsteht ja dadurch, dass man in dem Fach eigentlich nichts anderes als Fehler machen kann. Das ist ein Problem, das dem Mathematikunterricht in der Schule anhaftet. Bei einer Mathematikschularbeit kann ich nicht einen wunderbaren Satz zu Papier bringen, von dem dann alle begeistert sind. Das Ziel ist nur, keine Fehler zu machen.

Die Schulmathematik ist also zu sehr an den Defiziten orientiert.

Ja. Es wird primär darauf geschaut, was ein Schüler nicht kann. Damit verstellt man den Blick darauf, was Mathematik kann. Es geht weniger darum, was die Mathematik mir bringt. Sondern stets darum, was ich dem Fach gleichsam als Sklave abliefern muss.

Die Frage, wozu das alles denn gut sein soll, taucht unter Schülern immer wieder auf. Was muss man wirklich lernen?

Rechnen lernen sollten alle Kinder, damit sie für die Zukunft, fürs Leben ausgerüstet sind. Da geht es um die Grundrechnungsarten, das Schlussrechnen, Prozentrechnung, um eine Ahnung von Statistik, von Wahrscheinlichkeit oder die Fähigkeit, Volumen abzuschätzen. Das muss man schlicht einüben. Sogar Menschen, die mit der Mathematik nichts am Hut haben, nehmen zur Kenntnis, dass das wichtig ist.

Das ist aber noch nicht alles.

Dann gibt es noch die Mathematik als kulturelle Errungenschaft, also als geisteswissenschaftliche Disziplin, die die Menschen vorwärtsgebracht hat. Das muss man erzählt bekommen – aber nicht jeder muss es in Rechnungen nachvollziehen. Weil das viele nicht interessiert. Zu Recht. Weil sie es nicht brauchen.

Können Sie mir ein Beispiel für so etwas geben, was man nicht zu rechnen braucht?

Niemand muss beispielsweise Planetenumlaufbahnen selbst berechnen. Aber man muss die Geschichte dazu erzählen, wie Newton der Apfel auf den Kopf fiel und wie er zum Mond blickte. Das war der Beginn der modernen Naturwissenschaften: dass man begonnen hat, die Bewegungen der Himmelskörper zu verstehen. Man muss die Rechnung im Detail aber nicht jedem und jeder aufzwingen, sondern es sollen nur diejenigen machen, die sich wirklich dafür interessieren, etwa in einem Wahlfach.

Wird diese geisteswissenschaftliche Dimension der Mathematik in der Schule vernachlässigt?

Diese Dimension fällt ein bisschen unter den Tisch – auch, wenn das in den vergangenen Jahren sicherlich schon etwas besser geworden ist. Häufig vollziehen Schüler allerdings Rechnungen nach, die sie gar nicht verstehen. Und das ist ja sinnlos. (beba)

ZUR PERSON

Rudolf Taschner (60) ist Mathematiker und betreibt gemeinsam mit seiner Frau Bianca den math.space in Wien. Der „Presse“-Kolumnist veröffentlichte zuletzt das Buch: „Die Zahl, die aus der Kälte kam“ (Hanser-Verlag, 2013).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2013)

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