Wien reguliert direkte Demokratie

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Demokratie, Wien, Bürger(c) APA/HANS KLAUS TECHT (HANS KLAUS TECHT)
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Analyse. Die Mitbestimmung in Wien soll reformiert werden. Künftig soll es Regelungen für Bürgerbefragungen geben, um Befragungswildwuchs und Manipulationen zu verhindern.

Wien. Es war die Überraschung des Tages. Der erste Runde Tisch aller Parteien nach dem „Ja“ bei der Bürgerbefragung zur Neugestaltung der Mariahilfer Straße wurde (entgegen aller Erwartungen) am Mittwoch nicht zu einem harten, politischen Schlagabtausch zwischen Gewinnern und Verlierern der Befragung, sondern zu einem konstruktiven Gespräch. Und das brachte sogar ein handfestes Ergebnis: Die direkte Demokratie in Wien soll reformiert werden.

Befragung im gesetzlosen Raum

Was das bedeutet? Künftig sollen alle Bürgerbefragungen in Wien objektiv, nach klar definierten Kriterien ablaufen. Dafür wird eine Gruppe mit Vertretern aller Parteien ein Gesetz erarbeiten, das festlegt, wer wann bei welcher Art der Befragung mitstimmen darf. Gleichzeitig wird der Kreis der Stimmberechtigten für die jeweilige Befragung gesetzlich geregelt, also ob über ein Thema nur im Bezirk, in einem Stadtteil oder in ganz Wien befragt werden muss. Das klingt im ersten Moment kompliziert, bürokratisch und trocken, soll aber zwei der brennendsten Konfliktfelder in Wien beseitigen. Einerseits den rechtlichen Wildwuchs bei Bürgerbefragungen, die je nach politischem Wunsch gestaltet werden – andererseits soll die ständige Diskussionen über Manipulationen des Befragungsergebnisses aufgrund unklarer Regelungen beendet werden.

Die derzeitige Situation: Es gibt nur für Volksbefragungen und Volksabstimmungen klare gesetzliche Regeln. Wer zum Zeitpunkt der Befragung 16 Jahre alt ist, bei Nationalratswahlen wahlberechtigt ist (Stichwort: Österreichische Staatsbürgerschaft), darf mitmachen. Für die Wiener Volksbefragungen 2010 und 2013 galt dasselbe – nicht österreichische EU-Bürger durften nicht mitmachen.

Nur: Sobald dieselbe Befragung in Wien als „Bürgerbefragung“ tituliert wird, agiert man im gesetzlosen Raum. Für diese Bezirks- oder Stadtteilbefragungen, oder auch wienweite Befragungen, gibt es derzeit keine Regeln. Jeder Bezirkschef/Stadtrat macht was er will – womit das Ergebnis unter Umständen gesteuert werden kann, indem kritische Gruppen ausgeschlossen werden.

Vorgeworfen wurde genau das der grünen Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou. Bei ihrem Prestigeprojekt, der Neugestaltung der Mariahilfer Straße, waren 48.000 Menschen in zwei Bezirken stimmberechtigt. Obwohl die Mariahilfer Straße die wichtigste Einkaufsstraße Wiens ist, österreichweit zu den bedeutendsten Shopping-Boulevards gehört. Geschäftsleute – sie zählten zu den Kritikern der Umgestaltung – waren nicht stimmberechtigt, dafür durften überraschenderweise EU-Bürger mitstimmen, die von der Demografie her (jung und studentisch) wohl eher für das Projekt waren – sie stellten somit schlagartig rund 15 Prozent der Wahlberechtigten. Nachdem eine dünne Mehrheit (53 Prozent) für Vassilakous Prestigeprojekt stimmte, stellt sich die Frage, ob Vassilakou ihre Mehrheit ohne diese Auswahl der Stimmberechtigten erreicht hätte.

Anders handhabte es City-Bezirksvorsteherin Ursula Stenzel bei der geplanten Fußgängerzone im Bäckerviertel: Alle Betroffenen wurden befragt – inklusive Geschäftsleute. Bei der Parkpickerl-Befragung in Währing dagegen wurden jene befragt, die ihren Hauptwohnsitz dort haben. Dieser Wildwuchs bei Bürgerbefragungen soll nun klaren Regeln weichen.

Begegnungszone adaptiert

Was beim Runden Tisch noch in die Wege geleitet wurde: Bei der Detailplanung (z.B. welche und wie viele Querungen geöffnet werden) werden neben der Wirtschaftskammer auch Bürgerinitiativen eingebunden. Für Radfahrer wird es in der Fußgängerzone entsprechende Kontrollen und bauliche Hindernisse geben, damit sie die gesetzliche Schrittgeschwindigkeit einhalten und Fußgänger sich nicht gefährdet fühlen. Das Parkverbot in den beiden Begegnungszonen soll in der Nacht fallen, ebenso sollen dort Ladezonen für die Wirtschaft eingerichtet werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2014)

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