Vassilakou: "Das ist die Krux bei Befragungen"

Die Presse
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Nach der Abstimmung über die Mariahilfer Straße will Wiens Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou neue Regeln für direkte Demokratie schaffen - und stößt dabei auf einige Probleme.

Die Presse: Die Mariahilfer Straße ist verkehrsberuhigt. Was ist das nächste Prestigeprojekt? Eine Radspur auf der Tangente?

Maria Vassilakou: Hurra, das ist ja die Idee. Im Ernst: Es gibt viele Projekte, etwa die erste Wiental-Terrasse. Südtiroler Platz und Meidlinger Hauptstraße werden neu gestaltet. Und ich will den Schwedenplatz angehen, wenn Bezirksvorsteherin Stenzel endlich mitmacht.


Ein Prestigeprojekt à la Mariahilfer Straße und Jahreskarte kommt also nicht mehr?

Alle größeren Projekte im Regierungsübereinkommen sind erledigt. Aber vielleicht habe ich noch weitere Einfälle. Schauen wir mal.

Eine Nachwehe der Mariahilfer Straße ist ja die Vereinheitlichung der Bürgerbefragungen.

Es ist wesentlich, dass wir einheitliche Standards für Bezirks- und Regionalbefragungen schaffen. Derzeit kann man auf Bezirksebene jede x-beliebige Fragestellung wählen und den Kreis der zu Befragenden und den Auszählungsmodus willkürlich festlegen.


Die Betroffenheit endet eben oft nicht an den Bezirksgrenzen.

Das ist die Krux bei Befragungen zu Verkehrspolitik. Wenn ich zu Tempo 30 befrage, wünschen sich das die Anwohner. Frage ich alle, die durch die Gassen fahren, wollen sie das Gegenteil. Beginnt man so zu argumentieren, müsste man bei jeder Entscheidung die ganze Stadt befragen. Das ist wohl kaum keine Erfolgsstrategie für die Stadt.


Es sind aber nun einmal oft auch Bewohner anderer Bezirke und Geschäftsleute betroffen.

Es ist ein Unterschied, ob ich dort wohne und täglich mit den Folgen einer Verkehrsmaßnahme konfrontiert bin oder mich einmal in der Woche über einen Umweg ärgere. Beim Handel ist es vielleicht sinnvoll, ihn mitstimmen zu lassen, aber wir brauchen einen Konsens, wie man ihr Votum gegenüber dem der Bewohner gewichtet. Aber das gilt dann auch für Arbeitnehmer.

Irgendwann stößt man dabei ja an die Grenzen von Beteiligung.

Die Grenzen gibt es bereits, und das ist gut so. Todesstrafe, Fristenlösung oder Menschenrechte sind aus gutem Grund aus der direkten Demokratie ausgenommen.


Mir geht es eher um Angelegenheiten der Stadtpolitik.

Ein Bezirksvorsteher könnte derzeit alle diese Fragen stellen, weil er an nichts gebunden ist. Auf Gemeindeebene stellt sich die Frage nicht, weil alles, was verfassungsmäßig erlaubt ist, Gegenstand einer Befragung werden kann. Entweder befragt die Politik von sich aus, oder sie wird mit Unterschriften der Bevölkerung dazu gezwungen.


Neuer Wohnraum ist ein großes Thema, nur gibt es bei Neubauten auch Verlierer. Nehmen Sie Bürgerbeteiligung da auch so ernst?

Und ob. Es ist ja legitim, dass man keine Freude hat, wenn ein mehrstöckiger Bau entsteht, wo vorher eine Wiese war. Sucht man das Gespräch mit Anrainern, stellt man fest, dass sie sich auf Verbesserungen der Infrastruktur freuen. Wenn in der Nähe Nahversorgung oder Kindergärten entstehen, gibt es Bereitschaft, Neues zu akzeptieren.


In Stammersdorf werden zur Verteidigung einer Wiese sogar Ziesel hervorgekramt. Das wirkt nicht wie große Bereitschaft.

Es ist ein Irrtum zu glauben, dass mit Bürgerbeteiligung alles gut wird. Denn: Die Summe der Individualinteressen ergibt nicht notwendigerweise das Allgemeinwohl. Und selbst das Allgemeinwohl sehen nicht alle gleich. Manches lässt sich auf diesem Weg eben nicht lösen.


Also steht das Kollektivinteresse über dem Individualinteresse?

Deshalb braucht es Bürgerbeteiligung. So kann zumindest ein Teil der Interessen jener, die betroffen sind, einfließen. Die Mariahilfer Straße ist ein gutes Beispiel dafür.


Die sinnlose Route des 13A ist also ein notwendiges Übel zur Beruhigung der Straße?

Man stößt da an die normative Kraft des Faktischen. Die Fakten wurden in Wien 1997 geschaffen, als Verkehrsangelegenheiten Bezirkskompetenz wurden. Ich halte es für falsch, an die Wiener Linien zu delegieren, optimale Busrouten festzulegen – und gleichzeitig hat jeder Bezirk de facto ein Vetorecht.

Also sollten Bezirksvorsteher Kompetenzen abgeben?

Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, dass es eine Dezentralisierungsreform braucht – und eine Stärkung des Gemeinderats, denn schlussendlich ist eine Planung für ganz Wien so nicht möglich.


Könnte das ein grünes Vorhaben einer nächsten Regierung sein?

Jedenfalls werde ich nicht müde, darauf hinzuweisen. Mir ist bewusst, dass ich 23 Bezirksvorsteher gegen mich habe, die ihre Kompetenzen mit Zähnen und Klauen verteidigen werden. Und ich weiß wirklich nicht, ob ich Lust habe, in jedes Wespennest zu stechen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2014)

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