Türkei: Opposition warnt vor Wahlbetrug

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Premier Erdoğan sieht sich massiver Kritik ausgesetzt. Seine Gegner werfen ihm vor, bei der Kommunalwahl tricksen zu wollen. Sein einstiger Mitstreiter Präsident Gül distanziert sich von ihm.

Istanbul. Gut eine Woche vor den Kommunalwahlen in der Türkei am 30.März nehmen die politischen Spannungen weiter zu. Die Opposition wirft der Regierung die Verschleierung von Korruptionsvorwürfen vor – die regierende Partei AKP von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan hat die Veröffentlichung von Details staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen gegen vier Ex-Minister im Parlament verhindert. Zusätzlicher Ärger für Erdoğan kam von Staatspräsident Abdullah Gül: Der Präsident distanzierte sich mit deutlichen Worten von dem Premier. Zudem brachten Gegner Erdoğans den Verdacht ins Spiel, die Regierung bereite Wahlfälschungen vor.

Bei der Sondersitzung des Parlaments ging es um Anträge der Staatsanwaltschaft auf Aufhebung der parlamentarischen Immunität von vier Ministern Erdoğans, die wegen der Korruptionsaffäre im Dezember ihren Hut nehmen mussten: Wirtschaftsminister Zafer Çağlayan, Innenminister Muammer Güler, Europaminister Egemen Bağiş und Bauminister Erdoğan Bayraktar.

Nach Presseberichten wirft die Staatsanwaltschaft den Politikern vor, sie hätten sich von Geschäftsleuten bestechen lassen. Cağlayan soll eine Schweizer Armbanduhr im Wert von mehreren hunderttausend Euro als Geschenk angenommen haben. Im Gegenzug soll er dem iranischstämmigen Geschäftsmann Reza Zarrab freie Hand für Goldgeschäfte mit Teheran gegeben haben.

Gül: „Es gibt kein Komplott“

Die Regierung argumentierte in der Debatte, Einzelheiten der Vorwürfe dürften nur von einem Untersuchungsausschuss diskutiert werden, der erst nach den Kommunalwahlen eingerichtet werden soll.

Erdoğan bezeichnet die Korruptionsvorwürfe als Komplott der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen, der die Regierung stürzen wolle. Doch außerhalb der AKP-Anhängerschaft findet die Verschwörungstheorie immer weniger Anhänger. Jetzt ging also auch Staatspräsident Abdullah Gül deutlich auf Distanz zu Erdoğan. Die These des Regierungschefs, wonach ausländische Kräfte mit dem Komplott die Türkei schwächen wollen, sei „eines Dritte-Welt-Landes würdig“, sagte Gül. Er glaube nicht an eine Verschwörung. Der Staatschef forderte eine transparente Aufarbeitung der Affäre.

Güls Haltung ist wichtig, weil der Präsident bisher die Regierung in ihrem Vorgehen gegen die Gülen-Bewegung unterstützt hat. Nun aber signalisierte er mit seiner Kritik, dass ihm die Kampagne Erdoğans gegen die Gülen-Leute zu weit geht. Er kritisierte auch den rauen Umgangston in der türkischen Politik, für dem Erdoğan maßgeblich mitverantwortlich ist.

Die Korruptionsvorwürfe haben die Kommunalwahlen vom 30.März zu einer Art Volksabstimmung über den Ministerpräsidenten gemacht. Der Wahlausgang wird zudem mitentscheidend dafür sein, ob Erdoğan im August bei der Direktwahl des Staatspräsidenten als Kandidat antritt.

Einige Gegner des Ministerpräsidenten wollen Hinweise auf Versuche zur Wahlfälschung entdeckt haben. So fragte die Oppositionspartei CHP, warum die Wahlbehörde fast dreimal so viele Wahlzettel drucken ließ, wie es Wähler gibt: 141 Millionen Zettel für 52 Millionen Wähler. Im Internet kursieren unbestätigte Berichte, wonach die Regierung schon jetzt die Unterlagen mit den Wahlergebnissen in einigen Bezirken angefertigt habe. Umgekehrt haben Erdoğans Anhänger den Verdacht geäußert, die Gülen-Bewegung könnte versuchen, das Ergebnis zu fälschen.

Übertriebene Umfragewerte?

In der aufgeheizten Stimmung machen zudem Meldungen über geschönte Umfrageresultate für Erdoğan die Runde. Viele Umfragen zeigen die Erdoğan-Partei AKP bei 40 bis 45 Prozent. Das wäre zwar weniger als die knapp 50 Prozent, die sie bei den Parlamentswahlen von 2011 errang, aber mehr als bei der letzten Kommunalwahl im Jahr 2009, als die AKP bei 38 Prozent landete. Erdoğan hat jedes Ergebnis von mehr als 38 Prozent als Erfolg definiert.

Nach Berichten regierungskritischer Medien melden einige der Demoskopie-Institute jedoch absichtlich übertrieben hohe Werte für die AKP, um sich sich das Wohlwollen der Regierung zu erhalten und öffentliche Aufträge zu sichern. In Wirklichkeit liege die AKP bei rund 30 Prozent, schrieb der Kolumnist Emre Uslu in der Zeitung „Taraf“.

AUF EINEN BLICK

Die türkische Opposition wirft Premier Recep Tayyip Erdoğan vor, die Korruptionsvorwürfe gegen führende Vertreter seiner Regierungspartei AKP verschleiern zu wollen. Zudem behaupten Gegner Erdoğans, die AKP bereite einen Betrug bei den Kommunalwahlen am 30.März vor: Die Wahlbehörde habe fast dreimal so viele Wahlzettel drucken lassen, wie es Wähler gibt, um manipulieren zu können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2014)

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