„Kenne Gesetze, bevor sie in Kraft treten“

EU-Parlament. Katharina Strohmeier ist seit fünfeinhalb Jahren Abgeordneten-Assistentin in der europäischen Bürgervertretung.

Die Presse: Sie sind seit fünfeinhalb Jahren im EU-Parlament als Abgeordneten-Assistentin beschäftigt. Waren Sie schon immer an EU-Politik interessiert?

Katharina Strohmeier: Ja. Ich habe in Graz Jus studiert und 2008 die Europarechtsprüfung bei Prof. Reinhold Rack absolviert, der damals auch Abgeordneter im EU-Parlament war. Nach meiner Diplomarbeit wollte ich ein Praktikum in der Kommission machen, bekam dann aber von meinem Professor eine Stelle als Assistentin angeboten. Im Jänner 2009 habe ich bei ihm begonnen. Ein halbes Jahr später war Europawahl, mein Vertrag lief also zunächst nur sechs Monate . . .


Haben Sie damals überlegt, wieder nach Graz zurückzukehren?

Nein, denn das Arbeitsumfeld in Brüssel ist interessant und dynamisch. Man kennt die Gesetze, bevor sie in Österreich in Kraft treten, und ist in den gesamten Entstehungsprozess eingebunden. Ich weiß etwa, wer Befürworter und Gegner einer Richtlinie waren und wie umstritten sie war.


Sie sind also politisch der Zeit voraus?

Ja, gewissermaßen.


Was sind die Qualifikationsanforderungen in Ihrem Job?

Flexibilität ist sehr wichtig, genauso wie eine Affinität zu Sprachen. Allgemeines Interesse an Europapolitik und am heimischen Politgeschehen sind natürlich auch eine Voraussetzung. Man ist immer gefordert, den Überblick zu bewahren: einerseits über die Vorgänge in der Union mit ihren 28 Mitgliedstaaten, andererseits über die Ereignisse in Österreich. Als Steirerin verfolge ich natürlich genau, was sich politisch in meinem Bundesland tut.


Man denkt ja bei dem Wort „Assistent“ oft, die Arbeit beschränkt sich auf administrative Tätigkeiten. Wie sieht denn Ihr typischer Arbeitsalltag aus?

Es stimmt schon, dass die Bandbreite meiner Tätigkeit vom Flugbuchen bis hin zum Schreiben von Briefings reicht, aber das richtet sich sehr nach den Arbeitsgepflogenheiten des jeweiligen Abgeordneten. Grundsätzlich gilt für jeden Assistenten: Er muss seinem Chef einen Schritt voraus sein, den Kalender im Griff haben und Prioritäten setzen. Jeder Kollege betreut zudem einen Ausschuss und ist in diesem Themengebiet Ansprechpartner für den Abgeordneten. Einen zeitlich begrenzten Arbeitstag – etwa von neun bis fünf – gibt es nicht. Das hängt sehr stark vom Wochentag ab und davon, ob zum Beispiel eine Konferenz vorbereitet werden muss.


Sind Assistenten manchmal besser in die Themen eingearbeitet als die Abgeordneten selbst?

Man hat als Assistent mehr Zeit, sich einzulesen. Eine wichtige Aufgabe besteht darin, die Information kompakt zu machen, sodass der Abgeordnete nur das Essenzielle herausfiltern muss. Für ihn ist es zeitlich nicht möglich, jedes Detail zu kennen; und das ist auch nicht nötig. Wir kennen den größeren Umfang eines Themas.


Was sind denn Ihre Fachgebiete?

Die Beschäftigungs- und Sozialpolitik, also alles, was Arbeitnehmerfreizügigkeit und Arbeitnehmerrechte, Pensionspolitik und generationenfreundliche Themen betrifft.

Im EU-Parlament gibt es ja keinen Klubzwang. Erleichtert das die Arbeit?

Ja, bestimmt. Es gibt ja pro Fraktion ohnehin einen Berichterstatter, der die Linie in einer bestimmten Frage vorgibt. Sollte ein Abgeordneter mit dem Rest der politischen Gruppe nicht einer Meinung sein, wird das diskutiert, und es besteht die Möglichkeit, ihn von der mehrheitlichen Position zu überzeugen. Jeder darf aber seinen eigenen Standpunkt haben, und das ist auf politischer Ebene wichtig.


Die Parlamentarier wehren sich gegen die teure Straßburg-Woche. Ist das regelmäßige Reisen im Arbeitsalltag ein zusätzlicher Stressfaktor?

Auf jeden Fall. Die Qualität der Arbeit leidet darunter, wenn man den Arbeitsplatz häufig wechseln muss. Wir Assistenten fahren aber nur jedes zweite oder dritte Mal nach Straßburg mit, nicht zu jeder der zwölf Plenarwochen im Jahr.


Was lernt man beim Arbeiten im internationalen Umfeld?

Zuallererst eignet man sich ein anderes Zeitmanagement an. Ein einfaches Beispiel: Wenn ich eine halbe Stunde Mittagspause habe und einen Termin mit einem Finnen und einem Italiener plane, weiß ich, dass der eine zu früh kommt und der andere zu spät. Dieses Wissen kann man natürlich auch auf berufliche Tätigkeiten umlegen, man kriegt ein Gespür dafür. Aber es geht auch um Empfindlichkeit und Einschätzungsvermögen, man muss ständig darauf schauen: Worauf legen andere Nationalitäten wert, und wo muss ich mich anpassen?


Das Parlament ist die transparenteste Institution der EU. Woran zeigt sich das für Besucher, die Sie für Ihren Abgeordneten durch das Gebäude führen?

Das Parlament ist visuell sichtbarer als die Kommission und für Besucher leichter zugänglich. Der dritte Stock des Gebäudes ist ein zentraler Treffpunkt, fast wie der Times Square in New York. Es ist stressig wie auf einer Durchzugsstraße, aber mit etwas Glück kann man Ratspräsident Herman Van Rompuy oder Kommissionspräsident José Manuel Barroso über den Weg laufen. Die Kommission ist schon baulich anders konzipiert und in Brüssel auf viele Gebäude aufgeteilt. Das Hauptgebäude – das Berlaymont – ist nicht als Besuchertrakt gedacht und deshalb für Außenstehende weniger attraktiv.

Was bedeutet der Lebensmittelpunkt Brüssel für Sie – ist das etwas, was man für den Traumjob hinnimmt, oder ist die Stadt mittlerweile zu Ihrer Heimat geworden?

Dadurch, dass ich schon fünf Jahre in Brüssel bin, habe ich mich darauf konzentriert, meinen Freundeskreis hier zu festigen. Der Nachteil: Freunde kommen und gehen, weil Brüssel ja ein Pflaster für gute, interessante und kurzfristige Jobs ist, aber nicht unbedingt die Stadt, die dazu einlädt, langfristig zu bleiben. Vor allem Österreicher zieht es auf lange Sicht zurück in die Heimat, auch mir geht es nicht anders. Obwohl das Arbeitsumfeld absolut einen Reiz hat, der momentan überwiegt. Es ist aber schon eine Herausforderung, Freunde und Familie nicht zu vernachlässigen.


Viele Assistenten nützen die Arbeit im EU-Parlament als Karrieresprungbrett. In welchen Jobs sind Ihre früheren Kollegen gelandet?

Es ist eine Vielzahl an Jobs in Organisationen, Ministerien, Parteien oder Firmen. Der öffentliche Dienst und die Politik überwiegen aber vor dem privatem Bereich. Es gibt Leute, die in Brüssel bleiben, und solche, die es nochmals weiter weg von zu Hause zieht.

Zur Person

Katharina Strohmeier studierte Rechtswissenschaften in Graz und wollte danach ein Praktikum bei der EU-Kommission in Brüssel machen. Ihr damaliger Europarechtsprofessor, Reinhold Rack, war zu dieser Zeit Abgeordneter im EU-Parlament und engagierte Strohmeier als seine Assistentin. Mittlerweile arbeitet die 30-Jährige seit knapp fünfeinhalb Jahren in der europäischen Bürgervertretung, derzeit bei Heinz K. Becker. Jeder EU-Abgeordnete hat zwei bis drei Assistenten, die sich um Organisatorisches, aber auch um die Betreuung der Ausschüsse kümmern, in denen der Mandatar Mitglied ist. Oft kennen sie die Inhalte eines Gesetzesvorschlages genauer als der Abgeordnete selbst.

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