Klimawandel

Untergang der Vögel: Leider sind wir irre

Der Girlitz, eine bedrohte Vogelart.
Der Girlitz, eine bedrohte Vogelart.Getty Images
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Manche Themen regen auf, andere, viel wichtigere, gehen unter. Fest steht, dass der Niedergang der Singvogelwelt ganz einfach nicht hingenommen werden darf.

Am 18. August dieses Jahres erreichten uns nebst anderen zwei Nachrichten. Die eine Schlagzeile lautete: „Die Hälfte aller Feld- und Wiesenvögel verschwunden“. Die andere: „Vorwurf der Falschaussage: Kurz wird angeklagt“. Seither darf man sich fragen, ob wir alle noch bei Sinnen sind. Die Antwort lautet leider Nein. Denn während das Getöse, das Schenkelklopfen und das Geschrei um einen ohnehin absehbaren, im Weltenlauf jedoch völlig belanglosen Prozess gewaltig war, so blieb der Untergang der Vögel eine Randnotiz. Keine Aufregung weit und breit. Kein Aufschrei, kein Aufruf, etwas dagegen zu unternehmen. Das ist kaum zu glauben, und diese Fehlgewichtung darf so nicht hingenommen werden.

Deshalb hier noch einmal in aller Klarheit die Zusammenfassung: „Österreichs Feld- und Wiesenvögel sind in großer Gefahr: Ihre Bestände haben sich innerhalb der letzten 24 Jahre nahezu halbiert. Das zeigt der aktuell von BirdLife Österreich veröffentlichte Farmland Bird Index 2022. Mit einem Wert von 52,6 Prozent ist er auf dem niedrigsten Niveau im gesamten Berichtszeitraum. Neben jenen Kulturlandvogelarten, die seit Jahren unter starkem Druck stehen (Grauammer minus 95 Prozent, Girlitz minus 89 Prozent), zeigten auch etliche weitere Indikatorarten Rückgänge.“

Wo sind die Rebühner?

Wann durften Sie das letzte Mal den Singflug einer Feldlerche beobachten? Wo sind die Rebhühner, die Braunkehlchen, die Goldammern? Ja zum Teufel, regt uns eine ewige Politposse tatsächlich mehr auf als der Untergang eines guten Teils unserer Vogel- und nebstbei auch der Insektenwelt? BirdLife führt als Ursachen für das Vogelsterben den Strukturverlust und die biodiverse Verarmung des Kulturlands an, den Einsatz von Pestiziden und die intensivierte Landwirtschaft der vorigen Jahrzehnte. Die Liste lässt sich freihändig fortsetzen, etwa mit dem unvermindert voranschreitenden Landverbrauch, dem sinnlosen Absäbeln jeglichen öffentlichen Grüns, vor allem aber mit der Ignoranz all jener, die es in der Hand hätten, die Weichen ein wenig anders zu stellen. Doch die haben es auch nicht immer leicht.

Einer der zahlreichen Feinde des wilden Lebensraums, der so viel an kleinem Leben ernähren und beherbergen könnte, ist der weit verbreitete Kleingeist, der jede nicht gemähte Fläche, jede Strauchzeile, also alles Nicht-Zubetonierte oder zum Rasen Degenerierte als Gstettn abtut und Straßenmeistereien und andere Verantwortliche für die vermeintliche Schlamperei geißelt. Politisch Verantwortliche berichten, man müsse, um eine Brache für Bienen und andere Summer im Gemeindegebiet zu rechtfertigen, Informationstafeln errichten, um die um Säuberlichkeit bedachten Bürger zu beruhigen.

Wen stört schon Beifuß, Mädesüß und Hirtentäschel?

Zwar wurden im Agrarumweltprogramm letzthin ein paar mehr Naturschutzflächen beantragt als zuvor, was BirdLife als kleinen Lichtblick erachtet, doch da wäre noch viel mehr drin, könnte man meinen. Man könnte all die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister landauf landab als Verbündete gewinnen, die Straßenmeistereien und nicht zuletzt die Gärtnerinnen und Gärtner der Nation, und sie dazu aufrufen, doch bitte wieder ein gerüttelt Maß an Wildnis zuzulassen. Wen stören schon Wildkräuter wie Beifuß, Mädesüß, Hirtentäschel, Gänsefuß und Knäuelgras, von denen sich unter anderem die Finken wie der Girlitz nähren? Kurzum, es muss ein nationaler Plan her, der die Emotionen in Sachen Vögel und anderer erfreulicher Mitbewohner zumindest so hochgehen lässt, wie die Ankündigung eines ohnehin längst angekündigten Prozesses.

Träum weiter, sagt die Resignation. Kämpf weiter, die Vernunft. Jetzt oder nie, die Emotion. „Ein bisschen mehr Schlampigkeit“ wünscht sich der Profi, in diesem Fall Eva Karner-Ranner von BirdLife. Sie sähe für die Feld- und Wiesenvögel und Wildkräuterspezialisten wie den Bluthänfling sowohl an Siedlungsrändern als auch auf landwirtschaftlichen Flächen Chancen, so sie denn ergriffen würden. Was hindert uns daran, außer Ignoranz und Unwissen?

Der Plan steht

Der 18. August 2023 war jedenfalls mein persönlicher Wendepunkt. Um genau diese von Eva Karner-Ranner angesprochene Schlampigkeit wird es hier künftig noch öfter gehen, um Details dazu, um Anleitungen, Vorschläge, Ideen – aber auch um eine breiter angelegte Aktion, die nur mit vielen Verbündeten zu stemmen sein wird. Der Plan steht. Und das Schlusswort gehört noch einmal Montaigne: „Wohin ich auch zu gehen gedenke, so muß ich doch erst immer einen Schlagbaum der Gewohnheit freimachen, so sorgfältig hat sie alle unsere Straßen verrammelt.“

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