Wie aus einem 250 Jahre alten Streckhof ein zeitgemäßes Wohnobjekt wurde.
Hausgeschichte

„Man muss so ein Gebäude erst lesen lernen“

Einen burgenländischen Streckhof hat Innenarchitektin Aline Grasl-Gagern zu neuem Leben erweckt – mit allen Herausforderungen, die ein Traditionsbau aus Sandstein eben bietet.

Schon als Teenager interessierte sich Aline Grasl-Gagern für Immobilien, die sie mit ihren Eltern besichtigte – obwohl diese gar nicht auf der Suche nach einem neuen Wohnobjekt waren. In ihrer Partnerschaft praktizierte sie Touren dieser Art später ähnlich passioniert. Es waren Mauern mit Geschichte, Räume, die Emotionen weckten, ein Rahmen, der Spielfläche für Gestaltung bot und ihre Leidenschaft für Interior Design nährte. Auf einem dieser Streifzüge stieß die Innenarchitektin dann tatsächlich auf ein Haus, das zum eigenen Herzensprojekt werden sollte: ein mehr als 250 Jahre alter Streckhof im Burgenland.

„Der Hof hat uns gewissermaßen gefunden“, sagt die 34-Jährige heute, „er stand schon ein Jahr lang leer, war verwahrlost, das Unkraut wucherte. Wir wussten aber gleich: Der ist es.“ Dennoch traf sie die Entscheidung mit ihrem Mann nicht sofort: „Wir haben uns ein Dreivierteljahr Zeit gelassen und sogar darin Probe gewohnt.“ Denn: Statt der bisherigen Wohnung im 19. Wiener Bezirk sollte nun St. Margareten und damit auch Pendeln den Berufsalltag bestimmen, darüber hinaus verlangte die Bausubstanz Sandstein nach Antworten auf viele offene Fragen: „Eine Grundfeuchtigkeit ist da immer vorhanden. Man muss so ein Gebäude erst lesen lernen.“

Alt trifft neu

Besonders ist auch die Bauart: Die Grundstücke von traditionellen Streckhöfen sind zumeist sehr schmal gehalten, Gebäude ist dabei an Gebäude gereiht. Kleine, sehr einfach gehaltene Wohnbereiche werden um Stallungen, Scheune und Schüttkasten zur Lagerung von Obst und Gemüse ergänzt. „Unser Hof ist allerdings doppelt so breit, weil zwei eigentlich getrennte Langstreckhöfe irgendwann einmal zusammengelegt worden waren.“ Nicht alle Gebäude waren zu retten, ein Neubau schafft nun die Verbindung von Historie und Gegenwart, von alten Mauern zu neuen.

Das Credo: „Ich wollte trotz der geringen Gebäudebreite so viel Großzügigkeit wie möglich in das Haus bringen“, sagt Aline Grasl-Gagern. Begonnen hat man allerdings mit dem Pool, weil die Gegebenheiten des schmalen Grundstücks es bautechnisch so verlangten. Da ihr Mann aus der Region Attersee stammt, war eine Wasserfläche ein Must-have. „Sie ist gewissermaßen zu einem Teil des Wohnraums geworden“, schwärmt die Wahl-Burgenländerin, eine Wärmepumpe sorgt für angenehme Temperaturen über die Saison hinaus.

»Ich wollte trotz der geringen Gebäudebreite so viel Großzügigkeit wie möglich in das Haus bringen.«

Aline Grasl-Gagern

Innenarchitektin

Kein harter Kontrast

Im Wohnbereich wird durch einen loftartigen Raum mit einer Höhe von bis zu sieben Meter Offenheit nach allen Regeln der Kunst zelebriert. Glasfronten bis zum Giebel schaffen eine intensive Verbindung zwischen Innen und Außen. Aufgrund der Dimension des gesamten Bereichs auf dieser Ebene von rund fünf Metern Breite und 15 Meter Länge hat die Innenarchitektin Zonen optisch unterteilt, um Struktur, aber auch Behaglichkeit in das Gefüge zu bringen. Unterhalb der Galerie finden Küche und teilweise auch der Essbereich Platz. Vom runden Esstisch aus kann nahezu jeder ins Freie sehen. Das Wohnzimmer liegt eine Stufe niedriger, der Kamin erzählt Geschichten von früher: Seine Sandsteinumrandung besteht nämlich aus Stücken einer Torumrandung des Abrisshauses.

Wichtig war den Bauherren: Der Kontrast zwischen Altsubstanz und Neubau sollte nicht zu groß sein. Auf der oberen Wohnebene, wo Schlafräume, Bäder und Kinderzimmer Platz finden und man vom sogenannten Storchenzimmer aus tatsächlich den Blick auf ein Storchennest werfen kann, ist das bis ins gestalterische Detail spürbar. „Im Badezimmer im Neubau haben wir beispielsweise ganz bewusst mit Altholz gearbeitet, während wir uns im Bad im alten Bau für einen sehr geradlinigen Waschtisch entschieden haben.“ Das Elternschlafzimmer war ursprünglich ein Schüttkasten.

» Ich liebe es einfach, Möbel auszutauschen, nur die Küche muss unbedingt zeitlos sein.«

Aline Grasl-Gagern

Innenarchitektin

Experimentierfreude

Die Giebeldecke sollte ebenfalls nicht zu steril und modern geraten, sondern vielmehr wie die Gewölbedecken anderer Räume im Haus atmosphärisch wirken. „Wir haben auch nicht versucht, den Neubau außen auf alt zu trimmen. Weder hätten wir das erfüllen können, noch wäre es ehrlich gewesen.“ Wo traditionelle Kastenfenster erhalten wurden, hat man zugunsten eines freundlichen Ambientes helles Mobiliar gewählt, das Leichtigkeit verkörpert. Denn die Lichteinstrahlung ist allein schon dadurch begrenzt, dass der nächste Hof gleich an das Grundstück anschließt.

Die Räume werden peu à peu immer wieder neu gestaltet, „ich liebe es einfach, Möbel auszutauschen, nur die Küche muss unbedingt zeitlos sein“. Spielfläche dafür hat die Interior Expertin genug: „Auf insgesamt 450 Quadratmetern kann man gut experimentieren und sich selbst verwirklichen. So ein Haus muss auch wachsen. Unperfekt perfekt ist ein schönes Lebensgefühl.“ Inspiration dafür passiert überall, vor allem aber auf den Reisen mit der Familie, „wir bringen fast von überallher Möbel mit“, erzählt die zweifache Mama.

Sensibler Umgang

Viel Sensibilität und Konsequenz braucht es im Umgang mit der Altsubstanz. „Man muss mit Methoden und Mitteln arbeiten, die auch früher zur Anwendung gekommen sind“, spricht sie Notwendigkeiten wie Sumpfkalkputz oder Kalkfarbe an, „mit falschen Techniken kann vieles kaputt gehen“. Da trifft es sich gut, dass es sich bei diesem Streckhof um ein Steinmetzhaus handelt: „Man merkt einfach, dass hier mit viel Sorgfalt gebaut wurde“, sagt Grasl-Gagern, die immer wieder andere Akzente setzt. Im Nebengebäude hat sie einem Gewölberaum, in den sich die Familie mit Freunden gerne bei Sommerregen zurückzieht, mit einem aus Farbpigmenten selbst gemischten Rotton eine erdige Note verliehen. Die ehemalige Rauchkuchl wiederum, die mit dem Stall zusammengelegt wurde, beherbergt eine lange Tafel für gemütliche Zusammenkünfte im Winter.

»Es ist immer wieder eine schöne Herausforderung, aus einem Raum das absolute Beste herauszuholen.«

Aline Grasl-Gagern

Innenarchitektin

Die Passion lebt Aline Grasl-Gagern nicht nur im eigenen Zuhause aus, sie hat sich beruflich auf Objekte dieser Art spezialisiert: „Meine Leidenschaft sind alte Gemäuer, in ländlichen Umgebungen wie in Wien. Ich bin ein großer Fan des Stilaltbaus. Hochwertige Materialien zu neuem Leben zu erwecken, das hat immer ein ganz besonderes Flair.“ Wo im Stilaltbau schon Großzügigkeit Programm ist, da schafft sie im Streckhof mit dem Abtragen von Mauern, dem Zusammenlegen von Zimmern, dem Öffnen nach oben bis hin zum Giebel räumliche Weite. „Und in der Gestaltung spielt da freilich noch vieles mehr mit – hochwertige Materialien, die Farbwahl, die Beschaffenheit Oberflächen. Es ist immer wieder eine schöne Herausforderung, aus einem Raum das absolute Beste herauszuholen.“

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