Neues Buch

Der Pfarrer, der Doderer taufte und Kelsen traute

Jurist Gerhard Strejcek hat mit „Ein Dresdener Pfarrer in Wien“ ein interessantes Buch über den evangelischen Pfarrer Paul Zimmermann geschrieben.

Während Freunde des mehr oder weniger jenseitigen Grusels sich auf die Halloween-Ekstasen vorbereiten, besuchen lutheranische Christen zum Reformationstag ihre Kirchen. Etwa die Stadtkirche in der Wiener Dorotheergasse: In dieser ist heute um 19 Uhr Bundespräsident Van der Bellen Ehrengast bei einem Konzertgottesdienst. Ob er dort wieder die Schönheit der österreichischen Verfassung loben wird? Es gäbe eine Verbindung: Hans Kelsen, deren Schöpfer, wurde 1912 von Paul Zimmermann, damals Pfarrer der Stadtkirche, getraut. Diesem hat nun Gerhard Strejcek, Professor für öffentliches Recht an der Uni Wien, eine dicht recherchierte Monografie veröffentlicht.

Strejcek ist einer jener Juristen, deren schreiberisches Talent über das Verfassen von Urteilen oder Verordnungen weit hinausreicht. So schrieb er, nur zum Beispiel, über die juristische Tätigkeit Franz Kafkas und das Wiener Krapfenwaldlbad, über Glückspiel und Doderer. Das Interesse für diesen war wohl auch ein Anstoß für seine Spurensuche über Paul Zimmermann (1843–1927): Er taufte 1896 Heimito von Doderer, der allerdings 1940 zum Katholizismus übertrat.

Dissertation über Platon

Der in Dresden geborene Paul Zimmermann dissertierte 1869 in Leipzig über die Unsterblichkeit der Seele in Platons „Phaidros“, 1875 hielt er seine Antrittspredigt in Wien über „Gottes Gnaden“. Er galt bald als begeisternder Prediger und beseelter Redner, seine Nekrologe auf Theophil Hansen, Theodor Billroth, Johannes Brahms und Johann Strauß Sohn wurden in der „Neuen Freien Presse“ gedruckt. Er taufte etwa die Architektin Grete Schütte-Lihotzky, die Physikerin Lise Meitner, SP-Bürgermeister Felix Slavik und Arnold Schönberg, der 1898 vom Judentum zum Protestantismus konvertierte.

Erstaunlich, dass Zimmermann „in der Erinnerungskultur der evangelischen Kirche in Österreich nicht gerade einen Ehrenplatz genießt“, wie Strejcek schreibt. Er habe sich bange gefragt: „Sollte das Schweigen ein beredtes sein? Standen hier Kampfschriften, Los-von-Rom-Predigten, Nationalismus, Deutschtümelei, womöglich antisemitische Schriften im Raum? Diese Sorge erwies sich letztlich als unbegründet.“ Freilich habe Zimmermann bisweilen „kampfeslustig“ formuliert, etwa wenn er „die Evangelischen als die wahren, aber verfolgten Christen hinstellte“. Insgesamt aber zeichnet das bei Frank & Timme erschienene Buch einen weltoffenen Pfarrer, dessen man sich auch am Reformationstag nicht schämen muss.

Gerhard Strejcek: „Ein Dresdener Pfarrer in Wien. Pfarrer Paul Zimmermann und die evangelische Gemeinde 1875-1925“

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