Leitartikel

Gesucht: Guter Diktator auf Honorarbasis, Arbeitszeit flexibel

Europas Migrationshelfer in spe: Tunesiens Präsident Saied (li.) und sein ägyptischer Amtskollege al-Sisi.
Europas Migrationshelfer in spe: Tunesiens Präsident Saied (li.) und sein ägyptischer Amtskollege al-Sisi. Imago / Tunisian Presidency \ Apaimages
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Die Asylreform ändert nichts daran, dass die EU auf absehbare Zeit auf Partner angewiesen bleibt, die es mit Menschenrechten nicht so ernst meinen.

Der Schmäh mit der „guten Diktatur“, den Wladimir Putin bei seinem Wien-Besuch 2014 zum Gaudium des in der Wirtschaftskammer versammelten Publikums gemacht hat, steckt uns allen seit dem 24. Februar 2022, dem Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine, im Hals fest. Die Worte des Möchtegernzaren mit einer im wahrsten Sinne des Wortes einschlägigen Berufslaufbahn gelten mittlerweile als Inbegriff dessen, was alles im Umgang der Europäer mit den „lupenreinen Demokraten“ (© Gerhard Schröder) in ihrer Nachbarschaft schiefgelaufen ist:

Die Blauäugigkeit, was die Motivation der Autokraten anbelangt, der verlogene Umgang mit unschönen Vorgängen jenseits der EU-Außengrenzen, der Wunsch nach Ungestörtheit, dem alle strategischen Prioritäten untergeordnet werden mussten, die Gier nach schnellen Profiten, die auf Kosten der Zukunft gegangen ist – all das kennzeichnet die europäische Nachbarschaftspolitik und entwertet immer wieder aufs Neue das wertebasierende Selbstverständnis der EU.

Nun könnte man hier problemlos weitere Absätze mit dem Lamento über den europäischen Hang zur Heuchelei füllen. Das Problem ist nur, dass auch diese Wehklage heuchlerisch wäre. Denn erstens können sich die Europäer ihre Nachbarn nicht aussuchen, und zweitens macht das Betriebssystem der EU einen, formulieren wir es vornehm, realpolitischen Umgang mit ebendiesen Nachbarn unumgänglich. Anders ausgedrückt: Dinge, die die Europäer angesichts des globalen Migrationsdrucks nicht selbst erledigen können bzw. wollen, müssen sie outsourcen – und zwar bevorzugt auf Honorarbasis an die eingangs erwähnten „guten“ Diktatoren.

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