Krieg in Nahost

Der Norden des Gazastreifens ist zum Schlachtfeld geworden

Palästinenser überprüfen den Schaden an einem Krankenwagen, nachdem am 3. November ein Krankenwagenkonvoi am Eingang des Shifa-Krankenhauses in Gaza-Stadt getroffen wurde.
Palästinenser überprüfen den Schaden an einem Krankenwagen, nachdem am 3. November ein Krankenwagenkonvoi am Eingang des Shifa-Krankenhauses in Gaza-Stadt getroffen wurde.Reuters / Stringer
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UNO-Chef Guterres zeigt sich über neuerliche Angriffe „entsetzt“. Auch die USA drängen Israel zu einer Feuerpause. Denn im Hauptkampfgebiet harren immer noch 400.000 Zivilisten aus. Einen längeren Waffenstillstand schließt US-Außenminister Blinken aber aus.

Vor dem Eingang des Shifa-Krankenhauses in Gaza City bricht ein Mann weinend zusammen. Er hält ein Kleinkind in seinen Armen, höchstens zwei Jahre alt. Das Mädchen blutet und ist nicht bei Bewusstsein. In der Empfangshalle des Spitals herrscht am Samstag Chaos, Menschen brüllen durcheinander. Der Leiter des Krankenhauses, Mohammad Abu Selmeyah, berichtet vom Angriff auf eine Schule im Flüchtlingslager Dschabalia nahe Gaza-Stadt, bei dem mindestens 15 Menschen getötet und zahlreiche weitere verletzt worden seien. Die israelische Armee hatte auf dem Territorium Hamas-Kämpfer vermutet. Auf Bildern sind auf dem Boden verstreute, zerborstene Möbel, Blutflecken und weinende Menschen zu sehen. Nur Stunden zuvor hatte Israel einen mutmaßlich von der islamistischen Hamas benutzten Rettungswagen nahe dem Spital angegriffen und dabei nach eigenen Angaben 13 Terroristen getötet.

Der Norden des Gazastreifens ist zum Schlachtfeld geworden. Seit Wochen schon rufen die Israelis die Bewohner dort auf, das Gebiet zu verlassen und auf die andere Seite des Flusses Wadi Gaza zu wechseln. Denn die Hamas hat im Norden ihre Hochburg und ihre Waffenkammern, genauer eben auch in Gaza-Stadt, dem urbanen Zentrum, das das israelische Militär mittlerweile eingekesselt haben will. Allerdings harren nach Angaben von David Satterfield, einem US-Diplomaten, nach wie vor insgesamt 350.000 bis 400.000 Menschen im Norden des Gazastreifens aus. Zum Vergleich: Der harte Kern der al-Qassam-Brigaden, des militärischen Flügels der Hamas, wird auf 10.000 geschätzt, wie Bundesheer-Militäranalyst Berthold Sandtner zur „Presse am Sonntag“ sagt.

In dieser dramatischen Gemengelage werden die internationalen Rufe nach einer Feuerpause immer lauter: US-Außenminister Antony Blinken hatte schon bei einem Besuch in Tel Aviv am Freitag sehr konkrete Bemühungen unternommen, israelische Regierungsvertreter von einer solchen „humanitären Feuerpause“ zu überzeugen. Bisher vergeblich, denn Premier Benjamin Netanjahu hat bekanntlich öffentlich gefordert, dass zuvor die von der Hamas im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln freigelassen werden.

Arabische Amtskollegen machten am Samstag Druck auf US-Außenminister Antony Blinken, sich für einen Waffenstillstand im Gaza-Krieg einzusetzen.
Arabische Amtskollegen machten am Samstag Druck auf US-Außenminister Antony Blinken, sich für einen Waffenstillstand im Gaza-Krieg einzusetzen. APA / AFP / Jonathan Ernst

Noch keine Lösung

Das Problem: In Gesprächen mit der Terrororganisation via Vermittler wurde bisher keine Lösung gefunden, wie ein hochrangiger US-Beamter des Weißen Hauses in der Nacht auf Samstag zu Protokoll gab. Demnach verlangt die Hamas, dass neben den ausländischen Geiseln auch verwundete Palästinenser aus Gaza ausreisen dürfen. Im Grunde ein legitimer Wunsch – hätte nicht eine Überprüfung der vorgelegten Liste ergeben, dass ein Drittel davon Mitglieder der Hamas sind. „Das war für uns und für Israel einfach inakzeptabel“, ließ der Beamte wissen.

Am Samstag reiste US-Chefdiplomat Blinken weiter in Jordaniens Hauptstadt Amman, wo seine Amtskollegen aus Saudiarabien, Ägypten und anderen arabischen Ländern den Druck auf Washington erhöhten: Sie fordern erwartungsgemäß nicht nur eine wenige Tage lange Feuerpause, sondern einen Waffenstillstand. Aber davon hält Blinken nichts. Die Hamas könnte sich dann neu formieren, sagte er am Samstagabend in Amman.

Guterres „entsetzt“ von Beschuss von Krankenwagen

Uno-Chef António Guterres zeigte sich indes „entsetzt“ vom Beschuss des Krankenwagens in Gaza-Stadt. Die Bilder von auf der Straße liegenden Leichen seien „erschütternd“. Er habe die von der Hamas in Israel verübten massiven Terroranschläge am 7. Oktober mit 1400 Toten „nicht vergessen“, so Guterres. Die Zivilbevölkerung in Gaza, darunter auch Kinder und Frauen, werde jedoch „seit fast einem Monat belagert, getötet und aus ihren Häusern gebombt“, Hilfe werde verwehrt. Zivilisten dürften zugleich nicht als menschliche Schutzschilde missbraucht werden, erklärte Guterres an die Adresse der Hamas. Wie der Chef der Weltgesundheitsorganisation WHO, Tedros Adhanom, forderte der UN-General eine sofortige Waffenruhe.

Palästinenser versammeln sich am 4. November am Ort israelischer Angriffe auf ein Wohngebäude in Khan Younis im südlichen Gazastreifen.
Palästinenser versammeln sich am 4. November am Ort israelischer Angriffe auf ein Wohngebäude in Khan Younis im südlichen Gazastreifen.Reuters / Ibraheem Abu Mustafa

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