Achtung, Baustelle: Autorin Gabriele Reiterer vor der in Sanierung befindlichen Villa Ast auf der Hohen Warte.
Grätzeltour

Anna Mahler, Künstlerhäuser und Fußballlegenden

Von Wien aus startete die Bildhauerin Anna Mahler 1938 in die internationale Kunstwelt. Mit der Autorin ihrer Biografie, Gabriele Reiterer, auf Spurensuche auf der Hohen Warte im 19. Bezirk.

Auf dem schaurig-schönen High Gate Cementary London liegen mit Karl Marx, Douglas Adams oder George Eliot zahlreiche Denker, Künstler, Philosophen begraben. Auch die Wiener Bildhauerin Anna Mahler, geboren 1904 als Tochter von Gustav und Alma Mahler, fand hier im Juni 1988 ihre letzte Ruhestatt. Schön und ein bisschen schaurig ist auch die herbstliche Stimmung in der ab 1901 von Josef Hoffmann entworfenen Künstlerkolonie auf der Hohen Warte im 19. Bezirk. Glanzstück dabei: die derzeit eingerüstete, in Sanierung befindliche Villa Ast in der Steinfeldgasse 2, in der Mahlers (Stief-)Eltern Alma und Franz Werfel 1931–38 wohnten (und zahlreiche Künstler wie Intellektuelle im gut besuchten Salon zu finden waren), in der die Halbschwester Manon 1935 starb und in der auch Anna zeitweise logierte.

Eingerüstet: die Villa Ast in der Steinfeldgasse.
Eingerüstet: die Villa Ast in der Steinfeldgasse. Christopher Dickie

Prägendes Kunstambiente

„Die Künstlerkolonie war ein Projekt im Sinne des Gesamtkunstwerks“, erzählt Autorin Gabriele Reiterer, „bei dem Arbeiten und Wohnen ebenso harmonisch ineinandergreifen sollten wie Haus und Einrichtung, Design und Funktion.“ Als Erstes wurde an den Adressen Steinfeldgasse 6 und 8 ein schlichtes, großzügiges Doppelhaus für Koloman Moser und Annas Stiefgroßvater Carl Moll fertiggestellt, später das stilistisch prunkvollere 2. Haus Moll in der Wollergasse 10.

»Die Künstlerkolonie war ein Projekt im Sinne des Gesamtkunstwerks, bei dem Arbeiten und Wohnen ebenso harmonisch ineinandergreifen sollten wie Haus und Einrichtung, Design und Funktion.«

Gabriele Reiterer

Schriftstellerin

Das Doppelhaus Koloman/Moll in der Steinfeldgasse 6-8.
Das Doppelhaus Koloman/Moll in der Steinfeldgasse 6-8. Christopher Dickie
Das 2. Haus Moll in der Wollergasse.
Das 2. Haus Moll in der Wollergasse.Christopher Dickie

„Als Zeitzeugen stehen sie für eine Epoche, die Anna Mahler, ihr Leben und ihre Kunst prägten – auch wenn sie aus Wien bereits 1938 nach London geflohen ist“, sagt Reiterer. Zuvor war Mahler unter anderem in der Döblinger Pokornygasse, im Wiener Maxing-Schlössl und in ihrem Bildhauerwohnstudio in der Operngasse zuhause, „dem Gegenpol zum Salon ihrer Mutter“, erläutert Reiterer. Hier trafen sich die Künstler und Intellektuellen ihrer Zeit. Mit „der Elektrischen“, der Straßenbahnlinie 37, pendelte die Bildhauerin zwischen den Orten und Welten. 1837 erhielt Mahler, die zuvor eigentlich eine Karriere als Malerin angestrebt hatte, ihre erste Einzelausstellung, zahlreiche Kunstwerke wurden dann im Bombenhagel zerstört. Überdauert hat eine Büste von Ständestaat-Kanzler Kurt Schuschnigg, die nach England geschmuggelt wurde.

Die Steinfeldgasse 4 war ebenso Teil der Künstlerkolonie.
Die Steinfeldgasse 4 war ebenso Teil der Künstlerkolonie. Christopher Dickie

Englische Verbindungen

Auf der Hohen Warte entstand nicht nur die erste Künstlerkolonie, schon 1872 zog die Meteorologische Zentralstation (heute Geo­sphere Austria) auf die Villa Hohe Warte 40, erbaut von Architekt Heinrich Ferstel. Und 1894 wurde der erste Fußballklub Wiens, der First Vienna Football Club, von englischen Gärtnern gegründet, die im angrenzenden Rothschildgarten arbeiteten.

Die Anwesen der zerstörten Rothschildgärtnerei, heute Rothschildpark.
Die Anwesen der zerstörten Rothschildgärtnerei, heute Rothschildpark.gemeinfrei
Die als ZAMG (Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik) bekannte „Wetterstation“ (Archivbild) wurde Anfang 2023 zur Geosphere Austria.
Die als ZAMG (Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik) bekannte „Wetterstation“ (Archivbild) wurde Anfang 2023 zur Geosphere Austria. Biosphere/ZAMG/Baumgartner
Tribünenbau im alten Stadion.
Tribünenbau im alten Stadion.Vienna Austria

Da sie beim ersten Spiel die Gärtnerei von Alfons von Rothschild lädierten, kaufte er ihnen kurzerhand eine Wiese, auf der die ersten Spiele stattfanden. Später wurde die ehemalige Lehmgrube an der Klabundgasse zur Naturtribüne, und auf dem Sportplatz auch Opern aufgeführt und Boxkämpfe veranstaltet. Das Logo entstand in Anlehnung einer schottischen Triskele: ein von drei Beinen umrahmter Fußball. „Die Atmosphäre Anfang des Jahrhunderts war eine Mischung aus künstlerisch, fortschrittlich und später zunehmend reaktionär und faschistisch“, sagt Reiterer. Nationalsozialisten enteigneten und zerstörten die Gärtnerei(gebäude), schlossen die Meteorologische Station, enteigneten die Besitzerfamilie Bleier und siedelten sich auf der Hohen Warte an. Der überzeugte Nazi Carl Moll vergiftete sich 1945 in der Villa Wollergasse 10.

Und Mahler? Kehrte nie nach Österreich zurück. Paris, Berlin, London, Spoleto und Los Angeles waren ihre Adressen, nach Robert Koller, Ernst Krenek und Paul von Zsolnay heiratete sie in London Anatole Fistoulari, später Albrecht Joseph. Tochter Alma (1930–2010) blieb bei Vater Zsolnay in Wien, Marina (geboren 1943) lebt noch heute in London.

Das Areal der Hohen Warte in Wien Döbling.
Das Areal der Hohen Warte in Wien Döbling.PW/Die Presse

Zum Ort, zur Person

Seit 1135 wird der 214 m hohe Hügel im heutigen 19. Wiener Bezirk Hohe Warte genannt. 1860 betreibt die Bankiersfamilie Rothschild eine Gärtnerei, deren Arbeiter 1894 den First Vienna Football-Club gründen. 1872 zieht die heutige Geosphere Austria auf den Hügel. Ab 1901 errichtet Josef Hoffmann eine Künstlerkolonie. Wohnungen im auch heute als nobler Bezirk geltenden Döbling kosten im Bestand im Median 8230 Euro/m2.

Gabriele Reiterer ist in Wien als Autorin tätig. Tipp: Sie liest am 16. November im Musa aus ihrem Buch „Anna Mahler. Bildhauerin, Musikerin, Kosmopolitin“.

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