Umfrage

Warum zweifelt man in Österreich an der EU?

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Die Union ist in Österreich so ungeliebt wie in keinem anderen der 27 Mitgliedstaaten. Die Regierung trägt daran Mitschuld.

Es ist ein Widerspruch, der auf den ersten Blick schwer nachzuvollziehen ist: Österreich zählt zu jenen Ländern, die besonders stark von der EU-Mitgliedschaft profitieren – und dennoch steht die Bevölkerung der Union hierzulande so ablehnend gegenüber wie in keinem anderen Mitgliedstaat. Nur 42 Prozent bewerten die EU als etwas Positives, 22 Prozent sehen sie in negativem Licht. Zum Vergleich: Im EU-Schnitt bewerten immerhin 61 Prozent die Mitgliedschaft ihres Landes als eine gute Sache. Das zeigt eine neue Eurobarometer-Umfrage, die am gestrigen Mittwoch – und damit exakt sechs Monate vor der Europawahl – veröffentlicht wurde.

Nach den Gründen für diese desaströse Stimmungslage muss man nicht lang suchen: Politik wie Wirtschaft geben sich hierzulande nur wenig Mühe, das negative Bild der Union in der Öffentlichkeit mit Fakten zurechtzurücken, die eindeutig für eine Mitgliedschaft sprechen.

Vorteile der Mitgliedschaft

Denn wie stünde Österreich wirtschaftlich da, wäre es nicht in der EU? Diese Frage wird seit dem Beitritt von Ökonomen erforscht, und durchwegs kommen sie zum selben Ergebnis, nämlich: deutlich schlechter. Harald Oberhofer (Wirtschaftsuniversität Wien) und Gerhard Streicher (Wirtschaftsforschungsinstitut) haben beispielsweise in einer im Jahr 2019 veröffentlichten Studie untersucht, welche Auswirkungen die EU-Mitgliedschaft auf den bilateralen Handel österreichischer Unternehmen mit solchen in anderen EU-Staaten hat. Ergebnis: Binnen 20 Jahren nach dem Beitritt nahm das Handelsvolumen um rund 46 Prozent zu. Das ließ das Bruttoinlandsprodukt um durchschnittlich 0,7 Prozent pro Jahr stärker wachsen, als es das in einem Alternativszenario ohne Teilnahme am Binnenmarkt getan hätte. In Summe waren das 15,6 Prozent mehr Wachstum. Dieses Wachstum bedingte auch Arbeitsplätze, die ohne EU nicht entstanden wären. Fritz Breuss (ebenfalls WU Wien und Wifo) bezifferte sie 2015 in einem Beitrag für die „Wirtschaftspolitischen Blätter“ mit durchschnittlich rund 18.000 pro Jahr.

Doch all diese Fakten kommen in der öffentlichen Debatte viel zu kurz. Besonders die Kanzlerpartei ÖVP setzt vor dem großen Wahljahr 2024 wieder auf EU-skeptische Rhetorik, in der Migrationspolitik, der Ablehnung einer Erweiterung des Schengenraums um Rumänien und Bulgarien, beim Verbrenner-Aus oder zuletzt beim geplanten Mercosur-Abkommen der EU mit Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay.

Die mitregierenden Grünen haben ihre ehemals dezidiert proeuropäische Ausrichtung längst der Koalitionsräson geopfert. Und auch die SPÖ hat mit dem Niederösterreicher Andreas Babler nicht unbedingt einen glühenden Europäer an ihrer Spitze – wenngleich er seine Aussage von 2020, die EU sei „schlimmer als die Nato“, heute bereut. Lediglich die Neos stehen nach wie vor uneingeschränkt zum europäischen Projekt.

EU-Wahl – und niemand will antreten

Kein Wunder also, dass es für die Kandidatur zur Europawahl im kommenden Juni bei den meisten Parteien Absagen regnet. Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) will ebenso wenig antreten wie Infrastrukturministerin Leonore Gewessler (Grüne). Ein Mandat in Brüssel bedeutet heute viel mehr das Ende einer politischen Karriere als deren Anfang – so wie das auch bei Neos-Spitzenkandidat Helmut Brandstätter der Fall sein dürfte.

Othmar Karas hat bereits vor Wochen angekündigt, dass die zu Ende gehende Legislaturperiode nach inhaltlichen Verwerfungen mit seiner Heimatpartei ÖVP seine letzte im Europaparlament war. Lediglich die dezidiert unionskritische FPÖ blickt dem Wahltag mit Freude entgegen, darf sie sich in der aufgeheizten Anti-EU-Stimmung doch auf satte Zugewinne und sogar Platz eins freuen.

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