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Die Wende nach rechts und der Hochmut der Liberalen

Peter Kufner
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Wahljahr 2024. Erwartet wird eine Machtverschiebung in Europa: Rechtspopulisten als Gewinner – Liberale und Grüne als Verlierer.

Mit einem gewissen Masochismus werden jetzt allenthalben in Europa die Parteien der Rechten bis extremen Rechten zu den politischen Gewinnern dieses Jahres ausgerufen, bevor überhaupt noch eine der vielen Wahlen von 2024 stattgefunden hat. Als Fanal gelten die Niederlande, in denen Geert Wilders von der Parteij voor de Vrejheid PVV seine Wahl schon gewonnen hat und damit rechnen darf, im Februar von einer Koalition aus Mitte-rechts-Parteien zum Ministerpräsidenten bestellt zu werden.

Das könnte vor allem nach Frankreich ausstrahlen, mit dessen Rassemblement National Wilders’ Partei ideologisch viel verbindet. Für beide ist die Bekämpfung der Zuwanderung das wichtigste politische Thema.

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Als die französische Nationalversammlung kürzlich ohne die Stimmen des RN ein restriktives Einwanderungsgesetz beschloss, feierte das die Chefin des RN, Marine Le Pen, als einen „ideologischen Sieg” ihrer Partei. Beide haben aber auch einen starken sozialpolitischen Ansatz, denn rechte Parteien bieten meistens linke Wirtschafts-und Sozialprogramme an.

In Italien hat die Wende schon vor einem Jahr stattgefunden. Die aus der neofaschistischen Partei hervorgegangenen Fratelli d’Italia regieren in Rom seither relativ unauffällig und vor allem sehr EU-treu, was auch damit zu tun hat, dass Italien seit eh und je der größte Empfänger von Geld aus europäischen Kassen ist.

Als entscheidend für die Bestätigung einer innereuropäischen Machtverschiebung gelten die Wahlen zum Europäischen Parlament an mehreren Tagen Anfang Juni (in Österreich am 9. Juni). Den Parteien der radikalen Rechten wird in manchen Umfragen ein Zuwachs um rund 50 Prozent vorhergesagt.

Verlieren würden danach vor allem die diversen liberalen Parteien, darunter die des französischen Präsidenten, Emmanuel Macron, und die Grünen. Einigermaßen halten könnten sich die Sozialdemokraten und die verschiedenen Christdemokraten, unter ihnen die ÖVP, die zur Europäischen Volkspartei zusammengeschlossen sind.

Ein Fieberthermometer werden auch die drei Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern Sachsen, Brandenburg und Thüringen sein, wo die Alternative für Deutschland AfD drauf und dran ist, jeweils die stärkste Partei zu werden. Hier ist vor allem die CDU in der Versuchung, Koalitionen mit der AfD zu bilden, damit die Länder überhaupt regierbar bleiben. Denn nur in Brandenburg ist die SPD stark genug, um als Regierungspartner überhaupt infrage zu kommen. Angesichts dieser Aussichten hadern die selbst ernannten „Liberalen” mit ihrem Schicksal. Liberal gilt ihnen als Sammelbegriff für alle Wohlmeinenden, die nichts mit den Populisten zu tun haben wollen.

Die Liberalen halten allein sich für vernünftig und nehmen daher in Anspruch, die öffentlichen Dinge zu bestimmen. Wie konnte es nur passieren, fragt entgeistert ein Autor im deutschen Wochenblatt „Die Zeit”, dem Zentralorgan des liberalen Zeitgeists, dass denen, „die in Wirtschaft, Bildung, Politik und Medien nach wie vor fast alle Schlüsselpositionen innehaben, ihre Hegemonie so durch die Finger rinnt?“

Wie könne es möglich sein, dass der „liberale, vernünftige, mächtige Teil der Republik” (wörtlich die anmaßende Selbstbeschreibung) des Phänomens AfD nicht Herr werde, klagt er, obwohl man doch viel gescheiter sei und die besseren Antworten auf die epochalen Herausforderungen – Machtverlust des Westens, Klimakrise, Migration – habe. Die vernünftigen Kräfte, zu denen sich der Autor offenkundig zählt, „finden kaum noch Zugang zu den Gefühlen der Menschen”.

Ton der Herablassung

Kein Wunder, möchte man dazu sagen, wenn man den Ton der Herablassung über die Minderbemittelten liest, das eitle: „Wir bringen euch, wir tun für euch, denn wir wissen es besser.“ Der Autor glaubt, es fehle an einem „Gefühlsangebot” und liefert damit, ohne es zu bemerken, den Beweis dafür, dass er die erhofften Adressaten nicht ernst nimmt. Er nennt es selbst „die Sprache der Technokratie im Stadium der Vergeblichkeit”.

Dem deutschen Beispiel kann auch ein österreichisches hinzugefügt werden: Es war bei irgendeinem Anlass im Parlament ein Gespräch mit einem minderbedeutenden Politiker der Linken, der sich mit einem unbedeutenden internationalen Posten ein gutes Einkommen und nebenbei ein interessantes Leben gesichert hat. Er meinte, jetzt müsse sich das „andere Österreich“ zusammenschließen, um die FPÖ zu verhindern. Mit dem „anderen“ Österreich meinte er Leute wie sich selbst und mich.

Die Konservativen haben ein ganz anderes Problem mit den Rechten: Sollen sie, wenn sie die Möglichkeit dazu bekommen, mit solchen Parteien eine Koalition eingehen, um regieren zu können?

Für Österreich ist der Fall medial bis zum Überdruss abgehandelt worden. Darf die ÖVP mit der FPÖ oder nicht? Sie soll es natürlich nicht dürfen. In der öffentlichen Meinung sind ja die Konservativen am Aufstieg der Rechten allein schuldig, weil sie sich nicht genug von ihnen abgegrenzt haben. Das glauben auch in der Partei selbst nicht wenige und halten sich deshalb für christlich-sozial.

Die Unschuld der Linken

In der Debatte über Migration und Zuwanderung nimmt das Dilemma dann folgende Gestalt an: Es genügt der Vorwurf, damit arbeite man den Rechten in die Hände, um jedes sachliche Argument sogleich zu ersticken.

Es wird gar nicht die Frage gestellt, ob etwas richtig oder falsch sein könnte, sondern ob es vielleicht die FPÖ auch will. Sollte man – das wäre die zwar absurde, aber logische Konsequenz – also etwas, was man für falsch hält, nur deshalb tun, weil es die FPÖ nicht will?

Zur Ratlosigkeit der Konservativen, dem Hochmut der Liberalen, selbst wenn sie sich zerknirscht geben wie der „Zeit“-Kommentator, gesellt sich die behauptete Unschuld der Linken. Der Frage, woher die Stimmen rechter Parteien kommen, weichen sie gern aus, weil sie möglicherweise die Kehrseite der eigenen Schwäche ist.

Während die einen sich einem linken Populismus verschrieben haben, wie momentan die SPÖ mit ihrem neuen Vorsitzenden, sind andere der Versuchung erlegen, sich dem Kult der Minderheiten zu ergeben, weil sie das für progressiv halten. Beide bezahlen das mit der Verunsicherung ihres Stammpublikums unter den Älteren und der arbeitenden Bevölkerung.

Programm des Elitären

In dieser Situation machen sich Literaten, andere Schreiber und sonstige Kulturträger erbötig, eine Antwort auf den Populismus und die Krise, die ihm zugrunde liegt, zu geben. Ihre Empfehlungen kennt man schon aus der Coronakrise. Es ist wieder ein Programm des Elitären. Müsse man denn unbedingt glücklich sein wollen, fragen Leute, denen zumindest augenscheinlich wenig abgeht, und predigen den Verzicht, den andere üben sollen.

Verluste an Wohlstand, Sicherheit, Vertrautem als Verfeinerung des Lebensstils zu empfinden, muss man sich erst einmal leisten können. Nicht wenigen dürfte das als Anmaßung erscheinen. Es werden nicht alle auf das Lastenfahrrad, den SUV des alternativen Lebensstils umsteigen wollen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor

Hans Winkler war langjähriger Leiter der Wiener Redaktion der „Kleinen Zeitung“

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