Zuwanderung

Die neuen Routen nach Europa

Bootsflüchtlinge vor Lampedusa
Bootsflüchtlinge vor LampedusaImago / Ciro Fusco
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Die Grenzschutzagentur Frontex verzeichnete 2023 so viele irreguläre Grenzübertritte wie seit 2016 nicht mehr. Neue Routen wie jene über die Kanaren gewinnen an Bedeutung.

Warschau. Knapp fünf Monate vor der Europawahl dominiert das Thema Migration – neben Klimawandel und globaler Wirtschaftsprobleme – die Sorgen der Wahlberechtigten in der EU: Dies zeigt eine Studie des European Council on Foreign Relations (ECFR), die sich auf Daten aus neun großen Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, Frankreich und Italien, sowie Großbritannien und der Schweiz stützt („Die Presse“ berichtete). Rechtspopulisten in ganz Europa haben die irreguläre Zuwanderung längst zum wichtigsten Wahlkampfthema stilisiert – und dürften mit dieser Strategie große Gewinne einfahren, wie alle Umfragen prognostizieren.

Die jüngsten Zahlen irregulärer Grenzübertritte verschärfen diesen Trend – sind sie doch im vergangenen Jahr wieder signifikant gestiegen: 380.000 Menschen wurden an Europas Grenzen bis Ende Dezember aufgegriffen, um 17 Prozent mehr als 2022 und so viele wie seit der großen Flüchtlingskrise 2016 nicht mehr. Das berichtet die Grenzschutzagentur Frontex in ihrem jüngsten Report. Knapp die Hälfte aller Aufgegriffenen waren afrikanischer Herkunft, es folgten Syrer und Afghanen. Zehn Prozent davon waren Frauen, weitere zehn Prozent Kinder.

Abhängigkeit der EU

Laut Frontex-Informationen sind besonders die Zahlen über die mediterrane Mittelmeerroute von Nordafrika nach Italien im letzten Jahr stark angestiegen, sie machten 41 Prozent der Gesamtzahlen aus. Demnach kamen knapp 158.000 Menschen auf diesem Weg nach Europa, ein Großteil davon aus Guinea, Tunesien und der Elfenbeinküste. Besonders dramatisch war die Situation bekanntlich im Sommer auf der sizilianischen Mittelmeerinsel Lampedusa, wo der Stadtrat den Notstand ausrufen musste. Ein auf Druck von Italiens Ministerpräsidentin, Giorgia Meloni, im Juli von den EU-Spitzen und Tunesiens autoritärem Präsidenten Kais Saied unterzeichnetes Abkommen zur Eindämmung der illegalen Migration im Gegenzug für wirtschaftliche Hilfen zeitigte erst Monate später erste Ergebnisse.

Dennoch drängt Brüssel auf weitere Deals mit benachbarten Drittstaaten wie Ägypten: ein Vorhaben, das unter wachsender Kritik steht, da sich die EU in Abhängigkeit launischer Autokraten begibt, die internationale Menschenrechte äußerst flexibel auslegen.

Prominentestes Beispiel ist das knapp acht Jahre alte Migrationsabkommen der EU mit Ankara, das der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, Anfang 2020 faktisch aufkündigte. Deutlich wird das an den – seit dem Ende der Pandemie – sukzessive steigenden Zahlen auf der östlichen Mittelmeerroute von der Türkei nach Griechenland oder Bulgarien. Über 60.000 Menschen, großteils Syrer und Afghanen, kamen 2023 auf diesem Weg nach Europa, 55 Prozent mehr als noch im Jahr zuvor.

40.000 auf den Kanaren

Einen Rückgang von 31 Prozent gab es dagegen auf der Westbalkanroute, wenn auch auf hohem Niveau: Frontex verzeichnete dort 99.000 irreguläre Aufgriffe. Enorme Zuwächse (161 Prozent) verzeichnete Frontex auf der westafrikanischen Route über die Kanarischen Inseln, wo 2023 über 40.000 irreguläre Migranten aus dem Senegal, Marokko und Mali landeten. Einen dauerhaften Rückgang soll das im Dezember beschlossene Asyl- und Migrationspaket der EU bringen, das – so hoffen es die gemäßigten Fraktionen im Europaparlament – noch vor der EU-Wahl im Juni mit drastischen Maßnahmen wie Verfahren an den Außengrenzen, mehr Überwachung und schnelleren Abschiebungen sichtbare Erfolge einbringen soll. Experten wie Judith Kohlenberger warnen jedoch vor zu viel Optimismus. Eine rigorosere Kontrolle der Außengrenzen führe nicht automatisch zu weniger Schlepperei, sondern zu einer Verlagerung der Fluchtrouten, so die Migrationsforscherin.

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