Interview

Bildungsforscher Wößmann: „Wir sollten keine Kuschelumgebung in den Schulen schaffen“

Der deutsche Bildungsforscher Ludger Wößmann hält eine gewisse Leistungsorientierung für wichtig, um den negativen Trend der Pisa-Studien aufzuhalten.
Der deutsche Bildungsforscher Ludger Wößmann hält eine gewisse Leistungsorientierung für wichtig, um den negativen Trend der Pisa-Studien aufzuhalten.Caio Kauffmann/„Die Presse“
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Die Bildung der Bevölkerung ist der wichtigste Faktor für langfristigen Wohlstand, sagt der deutsche Ökonom Ludger Wößmann. Österreich und Deutschland sei dieses Bewusstsein abhandengekommen.

In der aktuellen Pisa-Studie haben sich die Schülerleistungen in Österreich in Mathematik verschlechtert, in Lesen und Naturwissenschaften stagnierten sie. Für Deutschland sprachen Sie gar von einem „Pisa-Absturz“, der den wirtschaftlichen Wohlstand gefährdet. Haben Sie die Ergebnisse überrascht?

Ludger Wößmann: Die Entwicklung nicht, das Ausmaß schon. Es gab viele Anzeichen, etwa, dass man relativ wenig gemacht hat, um die negativen Effekte der langen Schulschließungen aufzuholen. Aber der Trend ist schon länger negativ. In Deutschland liegen die 15-Jährigen in Mathematik ein Schuljahr hinter dem zurück, wo sie noch vor vier Jahren standen. Dieses Ausmaß der Verschlechterung ist schon gewaltig und es wird drastische Konsequenzen haben.

Welche drastischen Konsequenzen?

Wir sehen in der Wirtschaftsforschung ganz klar, dass die Bildung der Bevölkerung der wichtigste Faktor für langfristigen Wohlstand ist. Das gilt für den Einzelnen wie auch für die gesamte Volkswirtschaft. Nichts erklärt das langfristige Wachstum des BIP (Bruttoinlandsprodukt, Anm.) pro Kopf so wie die Bildungsleistungen der Bevölkerung in Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen. Bildung kann mehr als drei Viertel der Unterschiede in den Wachstumsraten der Länder weltweit erklären.

Können Sie das in Zahlen veranschaulichen?

Wir haben ausgerechnet, dass in Deutschland ein Rückgang von 25 Pisa-Punkten, wie wir ihn gerade in Mathematik gesehen haben, langfristig 14 Billionen Euro weniger Wirtschaftsleistung bedeutet. Für die nächsten zwei, drei Jahre macht der Rückgang noch keinen Unterschied, weil diese Jugendlichen noch nicht auf dem Arbeitsmarkt sind. Aber in der langfristigen Perspektive kommt eine gewaltige Summe zusammen. Diese Größenordnung stellt sämtliche kurzfristige Krisen in den Schatten. Das verschwindet ja auch nicht. Wenn das nicht aufgeholt wird, können sich diese Menschen nicht so produktiv in die Wirtschaft einbringen. Die Wirtschaft wird also immer weniger produktiv sein.

Wie soll das noch aufgeholt werden? In der Pisa-Studie werden ja 15-Jährige quer durch alle Schultypen getestet.

Ich fürchte auch, dass das schwierig wird. Umso wichtiger ist, dass wir jetzt schnell eine Kehrtwende für künftige Jahrgänge hinbekommen. Wir müssen dringend darauf achten, was in den Schulen gelehrt wird. Damit die Jugendlichen die Grundlagen bekommen, die sie brauchen, um sich später im Leben besser einbringen zu können.

Sie sind einer der bekanntesten Bildungsforscher Deutschlands. Was sind die Gründe für den Pisa-Rückgang?

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