Strafvollzug

Immer mehr Justizwachebeamte durch Häftlinge verletzt

Ein als gefährlich eingestufter Räuber, der in der niederösterreichischen Justizanstalt Stein (Foto) eine langjährige Haftstrafe verbüßen müsste, entkam im November und ist seither auf der Flucht.
Ein als gefährlich eingestufter Räuber, der in der niederösterreichischen Justizanstalt Stein (Foto) eine langjährige Haftstrafe verbüßen müsste, entkam im November und ist seither auf der Flucht.Clemens Fabry
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Nachdem Häftlingen zuletzt serienweise die Flucht bei Ausführungen gelungen war, zeigt eine parlamentarische Anfrage, dass es im Zuge solcher Ausführungen auch immer mehr verletzte Justizwachebeamte gibt. Die aktuelle Fluchtserie (Ende 2023, Anfang 2024) ist indes einzigartig. 2022 gab es bei Ausführungen gar keinen solchen Vorfall. 2021 gab es vier derartige Fluchten.

Fünf Gefängnisinsassen sind seit Mitte November geflohen, nachdem sie wegen (mutmaßlicher) medizinischer Probleme in Spitäler ausgeführt wurden und dabei das Weite suchten. Vier der Geflohenen konnten erneut verhaftet werde. Ausgerechnet die gefährlichste Person, der Räuber Islam Y. (35), ist nach wie vor untergetaucht. Vor diesem Hintergrund zeigt die Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage, dass es zuletzt auch immer mehr Attacken auf das Wachpersonal gab.

So gibt Grünen-Justizministerin Alma Zadić auf Befragen der FPÖ an, dass es 2021 „bei zehn Ausführungen zu einer Verletzung von Bediensteten“ gekommen sei. 2022 wurden bei elf Ausführungen Wachbeamte von Häftlingen verletzt. Das Personal mehrerer Haftanstalten war davon betroffen.

Haftanstalt Innsbruck mit Problemen

In Beantwortung der von der FPÖ verlangten örtlichen Aufschlüsselung gibt das Justizressort nun an, dass insgesamt 15 verschiedene Haftanstalten davon betroffen waren. Am schlimmsten erwischte es die Justizanstalt Innsbruck in den Jahren 2021 und 2022 – mit vier derartigen Vorfällen (andere Gefängnisse verzeichneten in diesem Zeitraum zum Teil „nur“ einen Fall von verletzten Beamten im Rahmen von Ausführungen).

Anlass zur Besorgnis liefern auch die Zahlen, die hinsichtlich der Fluchtversuche erhoben wurden. 2021 kam es bei 13 Ausführungen zu Fluchtversuchen. Betroffen waren die Gefängnisse in sechs Bundesländern. 2022 versuchten verurteilte Straftäter bei 16 Ausführungen zu entkommen. Dies ebenfalls in sechs Bundesländern.

Vier Fluchten im Jahr 2021

Vollendete Fluchten ereigneten sich zuletzt auch: vier im Jahr 2021. Ein Beamter wurde dabei verletzt. Die Entkommenen konnten rasch wieder eingesperrt werden. In weiterer Folge (Ende 2023, Anfang 2024) sollte es zu der einzigartigen, eingangs erwähnten Fluchtserie kommen (2022 gab es keine Flucht im Rahmen einer Ausführung).

Da die parlamentarische Anfrage vor zwei Monaten, nach der Flucht eines 16-jährigen Afghanen aus dem Landesklinikum Wiener Neustadt, eingebracht worden war, enthält sie zu diesem Fall mehrere Details: Der 16-Jährige aus der Haftanstalt Gerasdorf, der mittlerweile wieder einsitzt, ist wegen schwerer Körperverletzung, gefährlicher Drohung, Diebstahls und Verstößen gegen das Waffengesetz verurteilt worden.

Bemerkenswert: Er trug Handfesseln und war von zwei Justizwachebeamten eskortiert worden. Das hinderte den Jugendlichen aber nicht daran, davonzulaufen. Während er in Freiheit war, provozierte er die Behörden. Er stellte ein Video auf TikTok, das ihn mit den an einem Handgelenk baumelnden Handschellen beim Kokainkonsum zeigt. Die Bilder versah er mit Emojis von einem gestreckten Mittelfinger und einem Polizisten.

263 afghanische Häftlinge

Auch bestimmte Zahlen zu afghanischen Häftlingen wurden angefragt. Laut Beantwortung sitzen derzeit 263 Verurteilte mit afghanischer Staatsbürgerschaft in Österreichs Gefängnissen ein. Ein Gutteil davon verbüßt langjährige Haftstrafen. Insgesamt sitzen derzeit um die 9000 Gefangene in Österreich hinter Gittern (rund um die Uhr in Schichtdiensten bewacht von 3300 Justizwachebeamten).

Noch einmal zu dem bereits erwähnten, seit 14. November flüchtigen 35-Jährigen. Auf Hinweise, die zur Ergreifung des Mannes führen, stehen mittlerweile 5000 Euro Belohnung. Vermutlich ist der Schwerverbrecher – er war Häftling im Großgefängnis Krems-Stein – innerhalb der tschetschenischen Community in Wien oder Niederösterreich untergetaucht. Annahmen, er könnte sich nach Tschetschenien abgesetzt haben, haben sich zerschlagen, da Islam Y. – auf seiner Flucht (!) – im Dezember offenbar in eine Schlägerei in einem Wiener Lokal verwickelt war und dabei einen Mann verletzte.

Als bulliger Cage-Fighter auf der Flucht

Y. war im Rahmen eines begleiteten Ausgangs zu einer MRT-Untersuchung aus dem Universitätsklinikum Krems geflohen. Der bullige Mann war früher Cage-Fighter, hätte also besonders streng gesichert sein müssen (zumal sogar ein 16-Jähriger mit Handfesseln in der Lage gewesen ist, zwei Wachleuten zu entkommen).

Eingesperrt war Y. wegen eines 2019 verübten Überfalls auf einen Geldtransport. Damals gab es eine Verfolgungsjagd. Beamte der Sondereinheit Cobra waren hinter Y. und zwei Komplizen her. Y. und ein weiterer Mann konnten gestellt werden. Der dritte Täter ist bis heute nicht gefasst. Y. sollte eigentlich eine 11-jährige Haftstrafe verbüßen. Weil sich der Tschetschene auch vor Symbolen fotografieren ließ, die auf einen Zusammenhang mit der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hindeuten, wurde auch wegen Terrorismus-Vorwürfen gegen ihn ermittelt. Dieses Verfahren wurde aber eingestellt.

Anfang Februar gelang dann auch noch dem mutmaßlichen IS-Mitglied Mahdy C. die Flucht – im Zuge einer Untersuchung im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Wien-Leopoldstadt. Zu den näheren Umständen gab sich das Justizministerium bemerkenswert zugeknöpft. Nicht einmal die Terror-Verdachtslage gegen den 19-Jährigen wollte man bestätigen – man verwies dafür auf die Unschuldsvermutung. Und man sah offenbar keinen Grund, vor dem 19-Jährigen (österreichische Staatsbürgerschaft, tunesische Herkunft) zu warnen. Später sprach man dann mit Blick auf den Justizwachebeamten, der Mahdy C. bewachen sollte, von „menschlichem Versagen“.

Eine Ausführung entgegen einem Erlass

C. war entgegen einem entsprechenden Erlass des Ministeriums ungefesselt. Der Mann befand sich wegen Raubes und Körperverletzung in Strafhaft. Nunmehr wird gegen ihn wegen IS-Mitgliedschaft ermittelt, weshalb C. zuletzt in U-Haft zubrachte.

Am Abend des Fluchttags wurde dann doch auf Anordnung der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt ein Lichtbild des Geflüchteten veröffentlicht. Am nächsten Tag wurde C. gefasst. Damit drehte das Innenministerium den Spieß um. Während die Justiz blass aussah, lobte Staatsschutz-Direktor Omar Haijawi-Pirchner seine Leute: „Dank der professionellen und guten Arbeit unserer Ermittlerinnen und Ermittler in der DSN wurde der Verdächtige nach rascher Fahndung festgenommen. Das schnelle und verlässliche Einschreiten des Verfassungsschutzes ist in einer Gefahrensituation von besonderer Bedeutung, wie die heutige erfolgreiche, rasche Fahndung bewies.“

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) legte nach: „Die Ermittler des Verfassungsschutzes haben hervorragende Arbeit geleistet und einmal mehr ihre Professionalität unter Beweis gestellt.“

FPÖ-Mann Lausch: „Zadic, ein Sicherheitsrisiko“

Der FPÖ-Nationalratsabgeordnete Christian Lausch (er ist selbst Justizwachebeamter, von ihm kam auch die parlamentarische Anfrage), nennt Zadić „ein Sicherheitsrisiko“. Dass „ein Gefährder“ (Mahdy C.) zu einer ärztlichen Untersuchung in eine öffentliche Ambulanz ausgeführt werde, sei zu hinterfragen. Außerdem habe Zadić „ohne Grund“ die im November veranlassten Sicherheitsanordnungen (Hände am Rücken oder an einem Bauchgurt fesseln) „Anfang Jänner wieder aufgehoben.“

Der Chef der Justizwachegewerkschaft, Albin Simma, fordert indessen, dass mehr Hochsicherheitsabteilungen in den Haftanstalten eingerichtet werden. So könnten gefährliche Täter „abgesondert“ und das Personal geschützt werden. Laut Simma finden im Jahr 40.000 Eskorten von Häftlingen statt.

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