Rechtsstaatlichkeit

EU-Parlament verklagt Kommission nach Freigabe von Geldern für Ungarn

Ungarns Premier Viktor Orbán in Brüssel.
Ungarns Premier Viktor Orbán in Brüssel.Reuters / Yves Herman
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Das EU-Parlament will klären, ob die Entscheidung der EU-Kommission rechtmäßig war, Fördermittel für Ungarn trotz anhaltender Kritik an der Rechtsstaatlichkeit freizugeben.

Das Europäische Parlament verklagt die EU-Kommission von Ursula von der Leyen wegen der umstrittenen Freigabe von Fördergeldern für Ungarn. Das erfuhr die Nachrichtenagentur dpa am Donnerstag aus einer Sitzung von Parlamentspräsidentin Roberta Metsola mit den Vorsitzenden der Fraktionen in Straßburg. Zuvor hatte am Montagabend der Rechtsausschuss des Parlaments mit großer Mehrheit für die Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg gestimmt.

Das Parlament hatte zuvor „ernsthafte Bedenken“ wegen der Kommissionsentscheidung vom Dezember geäußert, 10,2 Milliarden Euro an die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban freizugeben. Kritiker vermuteten einen Deal, um Orban zur Aufhebung seines Vetos gegen EU-Hilfen von 50 Milliarden Euro für die Ukraine zu bewegen. Beim Dezember-Gipfel hielt er seine Blockade dennoch aufrecht, erst bei einem Sondergipfel am 1. Februar lenkte Orban ein.

Über die Klage will das Parlament nun klären lassen, ob die Entscheidung der Kommission, trotz anhaltender Kritik an Verstößen gegen rechtsstaatliche Prinzipien in Ungarn die eingefrorenen EU-Fördermittel für das Land freizugeben, rechtmäßig war. Die Brüsseler Behörde begründete den Schritt damit, dass der ungarische Regierungschef Viktor Orban die erforderlichen Bedingungen erfüllt habe.

EU-Parlament gegen Kommission: Sehr seltener Vorgang

Dass das EU-Parlament die Kommission vor den EuGH bringt, ist ein äußerst seltener Vorgang. Allerdings hatte das Parlament bereits 2021 gegen von der Leyen und ihr Team geklagt, weil diese eine damals neue Regelung zur Ahndung von Rechtsstaatsverstößen in EU-Staaten zunächst nicht angewendet hatten. Das Parlament zog die Klage jedoch wieder zurück, nachdem die Behörde im April 2022 begann, die sogenannte Konditionalitätsverordnung gegen Ungarn zu nutzen. Sie ermöglicht es, für Ungarn vorgesehene EU-Länder einzufrieren, wenn wegen Rechtsstaatsverstößen ein Missbrauch der Gelder droht.

Bemerkenswert ist die neue Klage vor allem, weil Parteifreunde von der Leyens keine offensichtlichen Versuche machten, sie zu verhindern. Die müssen sich nun die Frage gefallen lassen, warum sie ihre Spitzenvertreterin in einer so grundsätzlichen Frage nicht unterstützen. Von der Leyen wurde von der EVP erst in der vergangenen Woche offiziell als EVP-Kandidatin für eine zweite Amtszeit als Präsidentin der EU-Kommission aufgestellt. Aus EVP-Kreisen hieß es am Donnerstag, ein Eintreten gegen die Klage hätte als Unterstützung für Orban missverstanden werden können. Grundsätzlich hätte man vor einer Klage eigentlich eine noch genauere juristische Prüfung vornehmen wollen.

„Peinlich für von der Leyen“

Politische Gegner versuchten das Verfahren bereits in den vergangenen Tagen dafür zu nutzen, von der Leyen politischen Schaden zuzufügen. „Die Anklage ist mehr als peinlich für von der Leyen. Von der Leyen wandelt damit auf Donald Trumps Spuren, der seinen Präsidentschaftswahlkampf von der Anklagebank aus führen muss“, spottete etwa der Vorsitzende der FDP im Europäischen Parlament, Moritz Körner. Daran sei sie aber selbst schuld, weil sie sich nicht daran störe, dass die europäischen Steuerzahler „Orbans Familienclan“ reich machten.

Wie erfolgreich die jetzige Klage am Schluss sein wird, ist unklar. Der juristische Dienst des Parlaments war zuletzt in einem Gutachten zu den Chancen einer Klage zu keinem eindeutigen Ergebnis gekommen. Zunächst müsse das Parlament beweisen, dass die Kommission beim Erlass der Entscheidung Fehler gemacht habe, heißt es in dem Papier, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Es sei zu erwarten, dass „die Kommission ihrerseits eine solide Verteidigung vorbringt“ und sich auf ihren Ermessensspielraum stützen werde.

Ausgang der Klage unklar

Das Rechtsgutachten kommt zu dem Schluss, dass eine Klage mehrere Fragen aufwerfen würde, mit denen der EuGH noch nicht befasst war. Dies mache es schwer vorherzusagen, wie der Gerichtshof in einem solchen Fall entscheiden würde. Ein Urteil in dem Fall dürfte ohnehin frühestens im kommenden Jahr fallen, also lange nach den für Juni angesetzten Europawahlen und der Entscheidung über eine mögliche zweite Amtszeit von der Leyens.

Kritiker der Klageentscheidung sehen deswegen erhebliche Risiken. Das Vorgehen werde es Orban ermöglichen, sich weiter als Opfer einer politischen Kampagne des Parlaments zu inszenieren. Zudem drohe im Fall eines Scheiterns der Klage auch ein erheblicher Imageschaden für das Parlament. Die geäußerte Hoffnung, dass die Mitgliedstaaten der Kommission über ein kompliziertes Entscheidungsverfahren in Folge Kompetenzen entziehen könnten, sei vollkommen unbegründet - vor allem, weil die Entscheidung für die Freigabe der Mittel von einer großen Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten unterstützt worden sei.

Vorwurf der Erpressung durch Ungarn

Europaabgeordnete kritisierten die Freigabe des Geldes damals aber und warfen von der Leyen vor, sich von Ungarn erpressen zu lassen. Orban hatte zuvor angekündigt, den Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und ein milliardenschweres Hilfspaket der EU für das von Russland angegriffene Land zu blockieren.

Auf den Start der Beitrittsverhandlungen konnte sich schließlich beim Gipfeltreffen im Dezember verständigt werden. Das Hilfspaket wurde bei einem Sondergipfel Anfang Februar beschlossen. (APA)

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