Russland

133 Tote nach Anschlag in russischer Konzerthalle

Trauer vor der Crocus City Hall.
Trauer vor der Crocus City Hall.Reuters / Maxim Shemetov
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Angreifer stürmen am Freitagabend eine Konzerthalle nahe Moskau, sie töteten Dutzende Menschen. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hat sich zu dem Anschlag bekannt. Dem russischen Präsidenten zufolge wurden alle Angreifer inhaftiert. Vier davon sollen keine Russen sein.

Die Zahl der bestätigten Opfer steigt und steigt: Bei dem Terroranschlag auf eine Veranstaltungshalle am Stadtrand von Moskau sind mehr als 133 Menschen getötet worden, darunter mindestens drei Kinder. Beim Wegräumen der Trümmer in der Konzerthalle des Zentrums fanden Einsatzkräfte weitere Leichen. Außerdem gehen die Behörden von mehr als 100 Verletzten aus, darunter 44 Schwerverletzte.

In dem großen Konzertsaal der Crocus City Hall mit Tausenden Plätzen hatten mehrere Täter kurz vor einem Konzert der Rockgruppe Piknik am Freitagabend offenbar wahllos auf Besucher geschossen. Menschen rannten um ihr Leben. Nach Augenzeugenberichten in sozialen Medien brauchten viele Besucher lange, um aus dem Gebäude herauszukommen. Es gab auch Explosionen in dem Gebäude und einen Großbrand.

Die Hintergründe des Anschlags waren zunächst unklar, die russischen Sicherheitsbehörden ermittelten wegen Terrorismus. Die Terrormiliz Islamischer Staat reklamierte den Anschlag für sich, wie das IS-Sprachrohr Amak im Internet unter Berufung auf nicht näher genannte Quellen meldete. Dort hieß es: „Kämpfer des Islamischen Staates griffen eine große Versammlung von Christen in der Stadt Krasnogorsk am Rande der russischen Hauptstadt Moskau an, töteten und verwundeten Hunderte und richteten große Zerstörungen an.“ Experten gingen davon aus, dass dieses Bekennerschreiben echt ist.

Auch wie die Männer in Tarnuniform und schwer bewaffnet in die Konzerthalle gelangen konnten, war unklar. Die russische Hauptstadt Moskau gilt mit einem Großaufgebot an Sicherheitskräften, mit Überwachungskameras und Metalldetektoren an vielen Stellen als sichere Stadt. Die Geheimdienste der USA und anderer westlicher Länder hatten aber Anfang März vor einem drohenden Anschlag gewarnt. Präsident Wladimir Putin tat das als westliche Provokation ab. Ziel solcher Warnungen des Westens sei es, die Lage in Russland zu destabilisieren, sagte er Anfang der Woche bei einer Rede beim FSB. Auch am Samstag gab es zunächst keine Stellungnahme von ihm.

Zu den ersten Festnahmen teilte der russische Parlamentsabgeordnete Alexander Chinstein mit, dass am Freitagabend ein mutmaßliches Fluchtfahrzeug mit Waffen im Inneren im Gebiet Brjansk gestoppt worden sei. Weitere Verdächtige würden in einem Wald gesucht. Das Fahrzeug habe bei einer Verfolgungsjagd der Polizei nicht angehalten, sei beschossen worden und habe sich dann überschlagen. „Ein Terrorist wurde auf der Stelle festgenommen, die anderen haben sich im Wald versteckt“, sagte Chinstein. Am frühen Morgen sei ein zweiter Verdächtiger festgenommen worden.

Im Inneren des Fahrzeugs seien eine Pistole, ein Patronenmagazin und eine Kalaschnikow sowie Pässe von Bürgern des zentralasiatischen Republik Tadschikistan gefunden worden. Wenig später gab der Inlandsgeheimdienst bekannt, dass insgesamt elf Verdächtige festgenommen worden seien.

In einer weiteren Mitteilung ließ der russische Präsident Wladimir Putin wissen, dass nun alle Verdächtige im Zusammenhang mit dem Anschlag festgenommen wurden. Er versprach harte Strafen. Wer auch immer diesen Anschlag angeordnet habe, werde zur Rechenschaft gezogen, sagte Putin am Samstag in einer Ansprache an die Nation. Sie hätten versucht, Richtung Ukraine zu entkommen, behauptet der Präsident. Vorläufige Informationen deuteten darauf, dass einige Personen auf ukrainischer Seite bereit gewesen seien, sie von Russland aus über die Grenze zu lassen.

Putin sprach den Verletzten und den Angehörigen der Opfer des Anschlags sein Mitgefühl aus. Die Sicherheitsvorkehrungen seien verschärft worden. Der morgige Sonntag werde zum Tag der Trauer erklärt. Den Anschlag am Freitagabend reklamierte die Extremisten-Miliz Islamischer Staat (IS) für sich. Die Ukraine bestritt, in den Anschlag verwickelt zu sein.

Glutnester nach dem Großbrand

Die Lage an der Crocus City Hall war am Morgen ruhig. Einsatzkräfte löschten Glutnester nach dem Großbrand, wie die Feuerwehr mitteilte. Nach dem kompletten Löschen sollten die Trümmer des eingestürzten Daches der Konzerthalle beseitigt werden. Polizei, Nationalgarde und Ermittlungskomitee nahmen die Schäden auf und sicherten Spuren.

Die Crocus City Hall im Nordwesten der russischen Hauptstadt gehört zu den beliebtesten Veranstaltungszentren der Millionenmetropole. Dort werden immer wieder auch Messen und Ausstellungen organisiert.

Generell herrschte in der Moskauer Innenstadt ein erhöhtes Polizeiaufgebot, selbst mehrere Kilometer vom Anschlagsort entfernt, waren zahlreiche Polizeitransporter zu sehen und fanden Kontrollen statt. Hunderte Menschen folgten den Aufrufen der Gesundheitsbehörden, Blut für die Verletzten zu spenden.

Russlands Präsident Wladimir Putin ließ sich nach Kremlangaben „seit der ersten Minute“ über die Geschehnisse informieren. Er erhalte über die entsprechenden Dienste ständig alle wichtigen Informationen über das Geschehen und die eingeleiteten Maßnahmen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge. Später ließ Putin den Verletzten gute Besserung wünschen und dankte den Ärzten und Ärztinnen für ihren Einsatz.

Nicht unerwartet die sofortige Ortung einer Ukraine-Connection in Moskau: Vier mutmaßliche Täter hatten nach russischen Angaben Kontakte auf der ukrainischen Seite. Sie seien auf dem Weg zur ukrainischen Grenze gewesen, als sie am frühen Samstagmorgen gefasst worden seien, zitiert die Nachrichtenagentur Interfax den Inlandsgeheimdienst FSB. Der Angriff sei sorgfältig geplant gewesen. Die Nachrichtenagentur RIA zitierte kurz darauf den russischen Abgeordneten und Ex-General Andrej Kartapolow, der eine „deutliche Reaktion auf dem Schlachtfeld“ forderte, sollte sich herausstellen, dass die Ukraine hinter dem Angriff steckt.

Verdacht einer Verwicklung Kiews zurückgewiesen

Das ukrainische Außenministerium wies den Verdacht einer Verwicklung Kiews zurück. Auch der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podolja hatte schon kurz nach dem Angriff am Freitag erklärt, dass Kiew nichts damit zu tun habe. Die USA mahnten in einer ersten Reaktion ebenfalls, keinen Zusammenhang mit der Ukraine herzustellen. „Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Ukraine oder Ukrainer mit den Schüssen zu tun hatten“, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, in Washington. Man könne bisher nicht viel zu den Details mitteilen, rate aber zu diesem frühen Zeitpunkt eindringlich von der Annahme ab, dass es eine Verbindung zur Ukraine gebe.

Auf diese Äußerung aus Washington reagierte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, empört. Es sei vorschnell von den USA, die Ukraine zu entlasten, sagte sie im russischen Fernsehen. „Wenn die USA oder ein anderes Land verlässliche Fakten hat, sollten sie diese der russischen Seite zukommen lassen.“ Wenn es solche Fakten nicht gebe, hätten weder das Weiße Haus noch sonst jemand das Recht, vorab eine Absolution zu erteilen, sagte Sacharowa.

Als Konsequenz des Anschlags bleiben am Wochenende alle Theater, Kinos und Museen in Moskau geschlossen, darunter das weltberühmte das Puschkin-Museum. Zuvor hatte der Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin gesagt, dass alle Großveranstaltungen in Europas größter Stadt abgesagt seien. Auch im Moskauer Umland sagten die Behörden Massenveranstaltungen ab.

2002 hatten tschetschenische Bewaffnete 850 Menschen in einem Musical-Theater in ihre Gewalt gebracht. Am vierten Tag betäubte der Inlandsgeheimdienst die Geiselnehmer und die Geiseln mit einem Gas. Die Terroristen wurden erschossen. 135 Geiseln kamen ums Leben, die meisten von ihnen durch unzureichende medizinische Versorgung.(Ag/red.)

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