Der ökonomische Blick

Protektion als Wahlversprechen im Superwahljahr 2024

Donald Trump hat für seinen Wahlkampf in seiner „Blutbad-Rede“ vom 16. März vor Arbeiter:innen der Automobilindustrie in Ohio einen 100-Prozent-Zoll auf alle in Mexiko in Zukunft möglicherweise gefertigten chinesischen Automobile angekündigt. Auch in Europa werden protektionistische Stimmen lauter.
Donald Trump hat für seinen Wahlkampf in seiner „Blutbad-Rede“ vom 16. März vor Arbeiter:innen der Automobilindustrie in Ohio einen 100-Prozent-Zoll auf alle in Mexiko in Zukunft möglicherweise gefertigten chinesischen Automobile angekündigt. Auch in Europa werden protektionistische Stimmen lauter.APA/AFP/Kamil Krzaczynski
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Ein Großteil der politischen Ankündigungen, die versprochenen Wirkungen sowieso, liegen in der Zukunft und können schlecht bewertet werden. Für einiges von dem, was uns versprochen wird, haben wir aber Möglichkeiten der Evaluation, und die sollten wir auch nutzen.

Noch sind es zehn Wochen bis zur Wahl des Europäischen Parlaments. Es ist also noch Zeit, sich Gedanken zu machen. Das Problem ist, dass ein Großteil der Ankündigungen, die versprochenen Wirkungen sowieso, in der Zukunft liegen und deshalb schlecht bewertet werden können. Für einiges von dem, was uns versprochen wird, haben wir aber Möglichkeiten der Evaluation, und die sollten wir auch nutzen. So hat Donald Trump für seinen Wahlkampf in seiner „Blutbad-Rede“ vom 16. März vor Arbeiter:innen der Automobilindustrie in Ohio einen 100-Prozent-Zoll auf alle in Mexiko in Zukunft möglicherweise gefertigten chinesischen Automobile angekündigt. Auch das ist natürlich hypothetisch, doch motiviert es einen Blick auf die Ergebnisse des Zollkrieges gegen China und einige andere Staaten aus dem Jahr 2018. Da auch hier protektionistische Stimmen lauter werden, ist das auch für uns interessant.

Was ist „Der ökonomische Blick“?

Jede Woche gestaltet die Nationalökonomische Gesellschaft (NOeG) in Kooperation mit der „Presse“ einen Blogbeitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften.

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Damals waren die Arbeiter:innen im Automobilbau nicht so begeistert von der Zolleinführung, weil die Zölle auf Stahl die Vorprodukte der Autoindustrie verteuerten. Die Automobilbranche befürchtete, dass sich Stahlzölle negativ auf sie auswirken würden. Zu Recht, wie eine Studie von Beata Javorcik von der Weltbank und ihren Co-Autorinnen zeigt. Die Autorinnen vergleichen Stellenangebote von Unternehmen vor und nach der Zolleinführung. Ihr Ergebnis: Die Einführung eines Zolls führt zumindest kurzfristig dazu, dass in den Regionen die Arbeitsnachfrage der Unternehmen sinkt, in denen Sektoren eine größere Bedeutung haben, die zollbelastete Vorprodukte nutzen.

Zoll auf Stahl erfüllte Hoffnungen nicht

Stahlarbeiter:innen feierten dagegen damals die Einführung eines Zolls auf Stahl. Ihre Hoffnung erfüllte sich jedoch nicht. Auch in Regionen, in denen vermehrt Sektoren angesiedelt sind, die durch den Zoll geschützt werden sollten, ging die Arbeitsnachfrage zurück. Der negative Effekt ist etwas kleiner als jener für die Regionen mit mehr Industrie, die die zollbelasteten Vorprodukte verwendet. Aber auch dieser Effekt auf die Arbeitsnachfrage ist negativ. Das alles fand vor dem Hintergrund einer wachsenden Wirtschaft mit zunehmender Beschäftigung statt. Noch eine dritte Gruppe verlor, was wenige überraschen wird: die Exporteure, deren Güter in den „Partnerländern“ mit Ausgleichszöllen belegt wurden. Für diese Gruppe war der Effekt besonders stark. Die Arbeitsnachfrage wurde durch den Zoll also insgesamt vermindert, entgegen dem Ziel des Zolls, die heimische Industrie zu schützen.

Dass Konsument:innen dabei draufzahlen, war allen klar und wurde nicht weiter thematisiert. Dass es so dick kommen würde, dachten aber wahrscheinlich die wenigsten. Die Preise erhöhten sich fast in voller Höhe der Zölle, in einigen Produktkategorien sogar um mehr. Flaaen und Co-Autoren haben sich das für Waschmaschinen angesehen. Wenn weder die Konsument:innen noch die Produzent:innen sich bei der Zolleinführung verbessern, lohnt es darüber nachzudenken, ob diese Idee eine Unterstützung verdient hat. Der Hinweis darauf, dass auch die Chines:innen leiden, und das sogar noch stärker als die US-Amerikaner:innen, scheint mir als Begründung einer zukünftigen Politik zu wenig.

Brexit findet heute weniger Unterstützer

Für die Europawahl ist das vor allem deshalb von Interesse, weil nationalistische und isolationistische Politikangebote auch in Europa anzutreffen sind. Wahrscheinlich wäre es da gut, sich die Entwicklungen in Großbritannien anzuschauen, das seit dem Wahlsieg der Konservativen Partei 2010 einen nationalistisch antieuropäischen Kurs verfolgte. Mit dem Brexit-Referendum 2016 wurde die Trennung von der EU entschieden und bis 2020 vollzogen. Heute findet das weniger Unterstützer. Ein Großteil der Bevölkerung hält die Entscheidung für einen Fehler. Die Erfahrungen, die die Menschen mit dem gesamten Politikpaket machen mussten, sind aber weit schlimmer als der reine Austritt aus der EU. Der ARD-„Weltspiegel“ vom 17. März berichtete von hier zum Glück Unvorstellbarem aus dem Norden Englands. Dort erwartet man den Zusammenbruch des gesellschaftlichen Lebens, da sich der Staat völlig zurückgezogen hat.

Der britische Epidemiologe Michael Marmot hat die soziale Katastrophe in einem Bericht für die britische Regierung dargelegt. Für den Deutschlandfunk fasste er den eindrücklich zusammen. Der große Unterschied in der Lebenserwartung innerhalb Glasgows, wo die Lebenserwartung der Männer im ärmsten Stadtteil 54 Jahre beträgt, während im reichsten 82 Jahre erreicht werden, war für mich besonders schockierend. Für Graz habe ich keine nach Stadtteilen differenzierten Daten gefunden, aber 28 Jahre Unterschied sind es sicher nicht. Den immer wieder angeführten Unterschied in der Lebenserwartung nach dem Bildungsabschluss gibt es aber schon, natürlich in weit kleinerem Ausmaß.

Biden hält US-Wirtschaft auf Kurs

Einen alternativen Politikvorschlag zur Beantwortung der gegenwärtigen Herausforderung hat der US-amerikanische Präsident Biden angeboten und in den letzten, schwierigen Jahren mit Pandemie, Inflation und internationalen Krisen auch durchgehalten. Ich habe vor einem halben Jahr in dieser Reihe den wirtschaftspolitischen Kurs der USA für erfolgreich gehalten und will das heute noch einmal unterstreichen. Natürlich sind in den USA nicht alle Probleme gelöst, und es ist nicht abzuschätzen, ob die Wähler die Entwicklung auch so einschätzen wie ich. Aber es gibt eine andere Antwort auf die Herausforderungen als die des Zurückziehens auf Nationales oder gar Privates.

Das wollte die EU-Kommission mit ihrem Green Deal auch erreichen. An den Wachstumszahlen gemessen, ist ihr das nicht ganz so gut gelungen, wobei die Herausforderungen in Europa wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine noch ein wenig größer sind. Aber auch in der EU gibt es viele Kräfte, die Alternativen zu einer nationalistisch isolationistischen Politik anbieten. Im Juni haben wir die Wahl.

Der Autor

Jörn Kleinert, geboren 1970 in Berlin, ist Volkswirt mit einer Spezialisierung auf die Internationale Ökonomik und nach Stationen in Kiel und Tübingen seit 2010 Professor an der Universität Graz.

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