Klimaklage

Historisches Urteil: Klimaschutz ist ein Menschenrecht

Die Schweizer Klimaseniorinnen konnten sich mit ihrer Klage vor dem EGMR durchsetzen.
Die Schweizer Klimaseniorinnen konnten sich mit ihrer Klage vor dem EGMR durchsetzen. Reuters / Christian Hartmann
  • Drucken

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erkennt erstmals eine direkte Pflicht der Staaten, ihre Bürger besser als bisher vor der Erderwärmung zu schützen. Ist das Urteil ein Wendepunkt in der Klimapolitik?

Wien/Straßburg. Die Schweizer Klimaseniorinnen haben es geschafft: Zum ersten Mal hat ein europäisches Höchstgericht einer Klimaklage stattgegeben und so den Staaten direkt die Pflicht auferlegt, ihre Bürgerinnen und Bürger besser als bisher vor den Folgen der Erderhitzung zu schützen. Die Schweiz habe „nicht zeitgerecht und angemessen“ auf den Klimawandel reagiert und durch das Verfehlen von Zielen zur Emissionsreduktion „einige Menschenrechte“ der Klägerinnen verletzt, schreibt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in seiner Urteilsverkündung. Zwei weitere, ähnlich gelagerte Fälle wies der EGMR zurück.

Befürworter feierten das Urteil schon vor dessen Verkündung als „historische“ Wende im Kampf gegen den Klimawandel. Endlich könnten Regierungen zu einer ehrgeizigeren Klimapolitik gezwungen werden. Aber wie weitreichend sind die Folgen tatsächlich?

Österreichs Richter schauen genau hin

Der EGMR urteilte am Dienstag über drei Klagen, die unterschiedlichen europäischen Staaten Versagen im Kampf gegen die Erderwärmung vorgeworfen hatten: Letztlich erfolgreich war eine Gruppe an 2000 Schweizer Pensionistinnen. Sie argumentierten, dass ihre Gesundheit aufgrund ihres Alters und Geschlechts durch extremere Hitzewellen stark gefährdet sei und die Schweiz es verabsäumt habe, sie davor zu beschützen. In Frankreich klagte ein ehemaliger Bürgermeister, der sein Recht auf Privat- und Familienleben (Artikel 8) durch den steigenden Meeresspiegel bedroht sah. Und im dritten Fall waren sechs Kinder und Jugendliche aus Portugal gegen 33 Staaten, inklusive Österreich, vor Gericht gezogen. Hitzewellen und Waldbrände würden ihr Leben, ihr Wohlbefinden und ihre psychische Gesundheit beeinträchtigen (Artikel 2). Die beiden letztgenannten Klagen wies der EGMR zurück, da der nationale Instanzenzug nicht voll ausgeschöpft wurde bzw. im Fall des Bürgermeisters die persönliche Betroffenheit nicht als gegeben ansah.

Die Klimaseniorinnen erhielten hingegen einen positiven Richterspruch. Zwar wurden auch hier die persönlichen Klagen von vier Pensionistinnen abgewiesen, da das Gericht nicht genug Beleg fand, dass ihr persönliches Wohlbefinden unter der mangelhaften Klimapolitik der Schweiz leide. Der mitklagende Verein KlimaSeniorinnen Schweiz jedoch wurde als legitimer Kläger angesehen und seinen Forderungen nach mehr Klimaschutz stattgegeben.

„Damit hat der EGMR Neuland geschaffen“, sagt Daniel Ennöckl, Leiter des Instituts für Rechtswissenschaften der Universität für Bodenkultur Wien (Boku). Bisher seien viele Klimaklagen gescheitert, weil die Kläger nachweisen mussten, dass sie persönlich und überdurchschnittlich von den Folgen der schlechten Klimapolitik bestimmter Staaten betroffen waren. Das haben etwa die Schweizer Pensionistinnen auch vor dem EGMR nicht geschafft. Der Verband hingegen durfte aufgrund der Besonderheiten des Klimawandels als Kläger auftreten.

Das könnte auch Auswirkungen auf die Rechtsprechung in Österreich haben, meinen Juristen. Bisher war hierzulande der Weg für Klimaklagen ein steiniger, da es „keinen Rechtsschutz bezüglich gesetzgeberischer Untätigkeit“ gibt, so Ennöckl. Direkte Auswirkungen etwa auf die Urteile des Verfassungsgerichtshofs sind zwar nicht zu erwarten. Doch sollte sich ein Verein entschließen, Österreich vor dem EGMR zu verklagen, stehen die Chancen auf Erfolg nicht schlecht. Und dann müsste auch Österreich aktiv werden und etwa nach vier Jahren ohne Klimaschutzgesetz ein entsprechendes Gesetz vorlegen.

„Herstellung von Öffentlichkeit“

Wieviel das Urteil letztlich wert sein wird, bleibt abzuwarten. Denn schon bisher hatten einige Klimaklagen zwar vor Gericht Erfolg, brachten in der Realität aber nur wenig Veränderung. Dennoch sei die Strahlkraft des Urteils nicht zu vernachlässigen, sagen Juristen. Der Druck auf Unternehmen und Politik steige mit jeder Klimaklage – ganz egal, wie sie letztlich ausgehe. „Es geht hier eigentlich gar nicht primär um den Sieg im Gerichtssaal“, sagte Burkhard Hess, Professor für Zivilverfahrensrecht an der Universität Wien. „Hier geht es um die Herstellung von Öffentlichkeit“.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.