Geldpolitik

„Das Biest Inflation ist noch nicht erlegt“

EZB-Chefin Christine Lagarde und Fed-Chef Jerome Powell werden heuer die Zinswende einleiten. Doch wer ist zuerst dran?
EZB-Chefin Christine Lagarde und Fed-Chef Jerome Powell werden heuer die Zinswende einleiten. Doch wer ist zuerst dran?Eitan Abramovich/AFP/Getty
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Die EZB wird die Zinsen im Juni senken. Der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer, hält das für verfrüht.

Dass die Europäische Zentralbank bei ihrer Zinssitzung Anfang Juni ihre geldpolitische Wende einleitet, scheint so gut wie beschlossen. Nach Jahren, in denen die Pandemie und hohe Inflationsraten für deutliche Verwer­fungen gesorgt haben, kehrt nun also wieder etwas Ruhe ein. Und damit auch die Möglichkeit, die Zinsen auf ein moderateres Niveau zu senken. Ab Mitte 2022 waren die Leitzinsen rasant nach oben geschnellt, seit September des Vorjahrs verharren sie nun auf einem Niveau von 4,5 Prozent.

Möglicherweise hat die Eurozone diesen Input aber auch bitter nötig. Denn die Wirtschaft in der Währungsunion wird im Gegensatz zu den USA nur leicht wachsen. Die Commerzbank prognos­tiziert dem Euroraum einen realen BIP-Anstieg von 0,1 Prozent in diesem Jahr, während es für die USA um plus 2,5 Prozent nach oben gehen soll. Vor allem Deutschland, die immerhin größte Volkswirtschaft auf dem Kontinent, lässt aus. Das BIP der Bundesrepublik könnte im heurigen ersten Quartal nochmals gesunken sein, sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer am Dienstag, er war auf Einladung des Bankenverbands in Wien. Womit sich das Land dann in einer technischen Rezession befinden würde. Doch selbst, wenn sich zuletzt Hoffnungszeichen bemerkbar gemacht hätten, gäbe es keinen Grund zu jubeln, so Krämer. „Das Ende der Rezession in Deutschland bedeutet nicht den Beginn eines starken Aufschwungs.“

Kerninflation noch höher

Auch in Sachen Inflation ist Krämer eher pessimistisch. Zwar ist die Inflation in der Eurozone im März auf voraussichtlich 2,4 Prozent gesunken, wie eine Schnellschätzung von Eurostat zeigt. Doch die Kerninflation (ohne Energie, Lebensmittel, Alkohol und Tabak) liegt nach wie vor darüber. Zugleich ist die Inflation auf Drei-Monats-Sicht wieder angestiegen; auch die Inflation der Dienstleistungen ist zuletzt bei vier Prozent gelegen. „Die Dienstleistungsinflation sinkt seit vier Monaten nicht mehr“, so Krämer. Grund dafür sind die steigenden Löhne. Er erwartet einen Anstieg der Tariflöhne um 4,5 bis fünf Prozent in diesem Jahr. Auch ein Grund, weshalb für Krämer klar ist, dass das Biest Inflation „noch nicht erlegt“ ist.

Dennoch geht der Chefvolkswirt der Commerzbank auf Sicht von zwölf Monaten von vier Zinssenkungen aus, sodass der Einlagenzinssatz zum Ende des ersten Quartals 2025 bei drei Prozent zu liegen kommt. Die Finanzmärkte erwarten derzeit einen noch stärkeren Rückgang. „Der Markt erwartet, dass sich das Inflations­problem in Wohlwollen auflöst“, sagt Krämer. Doch seine Meinung ist das nicht. Den Beginn der Zinswende im Juni hält er deshalb für verfrüht. In der Hälfte der Länder, in denen die Zentralbanken den Sieg über die Inflation zu zeitig ausgerufen hätten, sei die Teuerung nicht zum Ausgangspunkt zurückgekehrt.

Bank-Austria-Ökonom Stefan Bruckbauer rechnet dagegen mit sieben Zinsschritten nach unten und einem Einlagenzinssatz von 2,25 Prozent bis Ende 2025. Die Eurozonen-Inflation sollte aus Sicht der Unicredit-Prognosen dann aber auch nur noch 1,8 Prozent betragen. Dass sich die EZB diesmal so klar positioniert hat, kommt für Bruckbauer jedoch nicht überraschend. Denn der Markt war mit seinen Zinserwartungsannahmen „extrem aggressiv“.

Anders als die EZB hat die US-Notenbank Fed keinen möglichen Zeitpunkt für Leitzinssenkungen ins Spiel gebracht und sich damit mehr Spielraum verschafft. Die Fed tagt im Juni eine Woche nach der EZB, Letztere ist diesmal also vermutlich früher mit Zinssenkungen dran.

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